Eptinezumab: Prophylaktischer Migräne-Antikörper hilft auch im Akutfall
Ursprünglich wurden die Migräne-Antikörper zur Prophylaxe von Migräne entwickelt, sie sollen also Anfällen vorbeugen. Drei sind bereits zugelassen und zwar für Migräniker, die an mindestens vier Tagen pro Monat an Migräne leiden: Erenumab im Aimovig®, Fremanezumab in Ajovy® und Galcanezumab in Emgality®. Einen vierten Antikörper – Eptinezumab (VyeptiTM) – gibt es bislang zwar in den Vereinigten Staaten, die EMA (Europäische Arzneimittelagentur) hingegen prüft die Zulassungsdaten derzeit noch. Doch könnte dieser Nachzügler nun mit einem ganz neuen und unerwarteten Vorteil punkten, da er in Studien nicht nur Migräneattacken vorbeugend verhinderte, sondern auch bei akuten Migräneanfällen wirkte. Über diese Studie berichtete jüngst das Amerikanische Ärzteblatt „JAMA”„Effects of Intravenous Eptinezumab vs Placebo on Headache Pain and Most Bothersome Symptom When Initiated During a Migraine Attack“ .
So wurde die Wirksamkeit von Eptinezumab bei akuten Migräneanfällen untersucht
An der Studie – RELIEF – nahmen 480 Migränepatienten teil. Die meisten waren Frauen (84 Prozent) und im Alter zwischen 18 und 75 Jahren (Durchschnittsalter 44 Jahre). Eingeschlossen wurden die Migräniker, wenn sie an vier bis 15 Tagen pro Monat an Migräne litten. Die Diagnose „Migräne“ musste seit mindestens einem Jahr bestehen. Die Studie lief multizentrisch (USA, Georgien), doppelblind, randomisiert und placebokontrolliert. Die Migränepatienten erhielten entweder Eptinezumab (238 Teilnehmer) oder Placebo (242 Teilnehmer) intravenös verabreicht. Therapiebeginn war innerhalb von einer bis sechs Stunden nach den ersten Symptomen eines Migräneanfalls. Den Teilnehmern war es verboten, 24 Stunden vor und zwei Stunden nach der Infusion Arzneimittel gegen akute Migräneattacken anzuwenden. Wirkte die Eptinezumab- oder Placebo-Infusion allerdings nicht oder nur unzureichend, durften sie zwei Stunden nach der Infusion auf ihre gewohnten Migränetherapeutika zurückgreifen. Dies war erlaubt, wenn Kopfschmerzen oder migräneassoziierte Symptome mit mäßiger bis starker Intensität fortbestanden oder diese innerhalb von zwei bis 48 Stunden wieder auftraten.
Zur Erinnerung: Wie wirken Migräne-Antikörper?
Migräne-Antikörper richten sich gegen ein Neuropeptid: CGRP (Calcitonin Gene-related Peptide). Dieses spielt aktuellen Erkenntnissen zufolge eine wichtige Rolle im Krankheitsgeschehen bei Migräne. Diese Aussage stützt sich unter anderem darauf, dass Migränepatienten während einer Attacke erhöhte CGRP-Spiegel aufweisen und diese sinken, wenn der Patient ein Triptan anwendet. Zudem lassen sich mit CGRP-Injektionen gezielt Migräneattacken auslösen. Die CGRP- und CGRP-Rezeptor-Antikörper sind die ersten Migräneprophylaktika, die speziell für diese Indikation entwickelt wurden. Zuvor waren Arzneimittel zur Vorbeugung von Migräne anderen Therapiebereichen entlehnt – zum Beispiel die Betablocker Metoprolol und Propranolol oder das bei Schwindel eingesetzte Flunarizin (Calciumkanalblocker). Die innovativen Migräneprophylaktika wirken rascher und scheinen verträglicher als andere zur Migräneprophylaxe eingesetzte Arzneimittel. Unterschiede gibt es bei den einzelnen Migräne-Antikörpern in ihrer Verabreichungsart – Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab werden subkutan appliziert, was eine Selbstverabreichung durch den Patienten ermöglicht, Eptinezumab muss hingegen intravenös gegeben werden. Auch das Dosierungsintervall unterscheidet sich: Erenumab wird alle vier Wochen und Galcanezumab monatlich gespritzt, Fremanezumab kann sowohl monatlich wie auch vierteljährlich verabreicht werden. Bei Eptinezumab ist ein vierteljährliches Dosierungsintervall vorgesehen (laut Zulassung in den USA). Und einen dritten Unterschied gibt es: Während Erenumab den CGRP-Rezeptor adressiert, neutralisieren Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab CGRP direkt.
Wie überzeugend wirkte Eptinezumab nun bei akuten Migräneattacken? Die Patienten waren schneller und häufiger kopfschmerzfrei, sie benötigten weniger ihrer Akutmedikation und auch neue Migräneanfälle traten später auf.
Schneller und häufiger kopfschmerzfrei
Im Median waren Patienten, die Eptinezumab erhalten hatten, nach vier Stunden frei von Kopfschmerzen. Bei Patienten, die hingegen Placebo verabreicht bekommen hatten, dauerte dieser Prozess fünf Stunden länger und sie konnten erst nach neun Stunden über Kopfschmerzfreiheit berichten. Knapp ein Viertel der Eptinezumabpatienten (23,5 Prozent) waren nach zwei Stunden kopfschmerzfrei, zum selben Zeitpunkt war es in der Placebogruppe nur gut jeder Zehnte (12 Prozent). Auch blieben die Kopfschmerzen häufiger weg, wenn die Patienten Eptinezumab infundiert bekommen hatten, als nach Placebogabe: 17,2 Prozent der Eptinezumabpatienten blieben innerhalb von zwei bis 24 Stunden schmerzfrei, unter Placebo waren es 5,8 Prozent.
Übelkeit, Phono- und Photophobie verschwinden schneller
Auch machten die Migräniker positive Erfahrungen bei ihren störendsten Migräne-Begleiterscheinungen, der Übelkeit, der Phono- oder Photophobie (Geräusch- und Lichtempfindlichkeit): Im Median waren Eptinezumabpatienten diese Beschwerden nach zwei Stunden los, in der Placebogruppe dauerte es eine Stunde länger, sprich drei Stunden. Das Verschwinden der lästigsten Begleiterscheinungen ging nicht nur schneller, sondern betraf auch mehr Patienten. In der Eptinezumabgruppe waren über die Hälfte (55,5 Prozent) nach zwei Stunden beschwerdefrei, in der Placebogruppe waren es mit 35,8 Prozent deutlich weniger.
Neuer Migräneanfall erst nach zehn Tagen
Einen guten Effekt scheint der Antikörper auch darauf zu haben, wann die nächste Migräneattacke auftritt: Bei Eptinezumabpatienten kam es im Median nach zehn Tagen zu einem neuen Anfall, in der Placebogruppe bereits nach fünf Tagen. Und auch die Akutmedikation konnten die Migräniker nach Eptinezumabinfusion reduzieren: Nur knapp jeder Dritte musste zusätzlich zu Eptinezumab noch auf akute Migränetherapeutika zurückgreifen, ohne Eptinezumab waren es knapp doppelt so viele Patienten (59,9 Prozent).
Allergische Reaktionen nur unter Eptinezumab
Doch wie sieht es eigentlich mit der Verträglichkeit aus? Eine Nebenwirkung trat tatsächlich ausschließlich unter Eptinezumab auf: Überempfindlichkeitsreaktionen. Hier kam es zu fünf Fällen unter Eptinezumab (zwei leichte und zwei mittelschwere Reaktionen, ein schwerer Fall). Alle allergischen Reaktionen wurden innerhalb von 40 Minuten nach Beendigung der Infusion beobachtet. Ansonsten hielten sich die berichteten Nebenwirkungen in der Eptinezumab- und Placebogruppe die Waage: 10,9 Prozent vs. 10,3 Prozent.
Brücke zwischen akutem und präventivem Behandlungsbedarf
Die Wissenschaftler kommen zu folgendem Fazit: Bei Migränepatienten, die an mittelschweren bis schweren Attacken leiden und die für eine Prophylaxe infrage kommen, führte Eptinezumab „zu einer schnelleren Linderung der Kopfschmerzen, zu einer anhaltenden Befreiung von Kopfschmerzen und zu einer Verzögerung bis zur nächsten Migräneattacke“. Sie sehen in intravenös verabreichtem Eptinezumab das Potenzial, „eine therapeutische Brücke zwischen dem akuten und dem präventiven Behandlungsbedarf von Migränepatienten zu schlagen“.