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EMA EMPFIEHLT ZULASSUNG VON ZOLGENSMA: Gentherapie bei Spinaler Muskelatrophie bald auch in Europa

Zolgensma soll auch in der EU zugelassen werden: für Kinder mit Spinaler Muskelatrophie. Wichtiges Studienziel bei Zolgensma ist unter anderem das aufrechte Sitzen der Kleinkinder. | Bild: MIA Studio / Adobe Stock

Europa kommt der bei Spinaler Muskelatrophie (SMA) eingesetzten Gentherapie Zolgensma® (Onasemnogen abeparvovec ) einen Schritt näher: Die Europäische Arzneimittel-Agentur – genauer: der dort für Humanarzneimittel zuständige Ausschuss CHMP (Committee for Medicinal Products for Human Use) – empfahl am 26. März die EU-Zulassung von Zolgensma® für Säuglinge und Kleinkinder, die an Spinaler Muskelatrophie leiden. AveXis – Hersteller von Zolgensma® und eine Tochter des Novartiskonzerns – erwartet die Zulassung bis Juni 2020. So die Europäische Kommission ihr „Ok“ gibt, darf Zolgensma® in allen 27 EU-Staaten sowie in Island, Liechtenstein, Norwegen und dem Vereinigten Königreich (UK) vermarktet werden.

Zur Erinnerung: Was ist die Spinale Muskelatrophie (SMA) 

SMA ist eine seltene, genetisch bedingte und fortschreitende neuromuskuläre Erkrankung, die durch das Fehlen eines funktionalen SMN1-Gens verursacht wird (Mutation des Chromosoms 5q im SMN1-Gen) und so zum raschen und irreversiblen Verlust von Motoneuronen führt, was die Muskelfunktionen, einschließlich Atmung, Schlucken und Grundbewegung, beeinträchtigt.

In Europa kommen jährlich 550 bis 600 Babys mit Spinaler Muskelatrophie zur Welt.

Welche Kinder dürfen Zolgensma erhalten?

Die vollständige Indikation lautet:

„Zolgensma ist angezeigt zur Behandlung von

Patienten mit 5q-Spinaler Muskelatrophie (SMA) mit einer biallelischen (beide Allele betreffenden) Mutation im SMN1-Gen und einer 
klinische Diagnose von SMA Typ 1 oder
Patienten mit 5q-SMA mit einer biallelischen (beide Allele betreffenden) Mutation im SMN1-Gen und bis zu 3 Kopien des SMN2-Gens.“

Was funktioniert nicht oder nicht ausreichend bei SMA?

Der zugrundeliegende Gendefekt im SMN1-Gen (Survival Motoneuron SMN) verhindert, dass ein Eiweiß (Protein), das für das Überleben (Survival) der Motoneurone im Rückenmark wichtig ist, in ausreichender Menge gebildet wird. Im Rückenmark wird normalerweise ein Bewegungsbefehl in Form eines Nervenimpulses auf ein Motoneuron umgeschaltet. Vom Motoneuron leiten Nervenbahnen sodann diesen Bewegungsbefehl weiter bis zur Muskulatur an die motorische Endplatte, wo letztlich die Bewegung durch Muskelkontraktion entsteht. Kommt dieser Muskelimpuls jedoch nicht an, verkümmert die Muskulatur zunehmend, da sie nicht aktiviert wird.

„Back-up“-Gen SMN2

Es gibt allerdings ein zweites Gen, SMN2, das in der Nähe von SMN1 lokalisiert ist und ebenfalls für die Produktion geringer Mengen an Survival Motoneuron verantwortlich ist. Die Funktionsfähigkeit dieses Gens und die Anzahl an SMN2-Gen-Kopien bedingen unter anderem, wie schwer die Erkrankung verläuft – je mehr Output, desto mehr Survival Motoneuron, desto langsamer das Fortschreiten der SMA.

Das spiegelt sich unter anderem auch in der geplanten EU-Zulassung von Zolgensma® wider: Neben SMA-Typ-1-Kindern dürfen nur Kinder mit maximal drei Kopien des SMN2-Gens Zolgensma® erhalten. Bei schweren Formen der SMA, wie der akut infantilen SMA beziehungsweise SMA Typ 1, sterben die Kinder meist innerhalb ihrer ersten beiden Lebensjahre.

Wie wirkt Zolgensma?

Zolgensma® ersetzt das defekte Gen SMN1 und behandelt so SMA erstmals ursächlich. Es liefert eine voll funktionsfähige Kopie des menschlichen SMN-Gens, sodass die Patienten ausreichend Survival Motoneuron bilden können und das Fortschreiten der Erkrankung und ein weiterer Verlust der Motoneurone aufgehalten werden. Wichtig: Bereits zerstörte Motoneurone werden nicht wieder repariert, der schon stattgefundene Verlust von Motoneuronen kann folglich nicht rückgängig gemacht werden. Zolgensma® wird als einmalige intravenöse Infusion verabreicht. Das funktionsfähige Gen wird mittels eines Virus, das jedoch beim Menschen keine Erkrankung verursacht, in die Zellen geschleust. Das Virus dient lediglich als „Fähre“ (Vektor) für das SMN-Gen.

Früher Therapiebeginn sinnvoll

Da SMA eine fortschreitende Erkrankung ist und der Verlust von Motoneuronen nicht rückgängig gemacht werden kann, ergibt eine frühestmögliche Behandlung der Kinder Sinn, um die Progression der SMA so früh wie möglich aufzuhalten. Besonders kritisch sind Kinder mit der schwersten Form der Spinalen Muskelatrophie, wenn die Motoneurone bereits vor der Geburt degenerieren.

Zolgensma schon in den USA und Japan

Bislang gibt es Zolgensma® nur in den Vereinigten Staaten und in Japan. Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) erteilte dem Gentherapeutikum bereits im Mai 2019 die Zulassung. In den USA darf Zolgensma® seither zur Behandlung von Kindern unter zwei Jahren mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) eingesetzt werden. Die Zulassung in Japan hingegen ist ganz frisch und erst wenige Tage alt: Am 19. März 2020 wurde Zolgensma® vom japanischen Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt (MHLW) zugelassen, und zwar für die Behandlung von Kindern unter zwei Jahren mit SMA, einschließlich derjenigen, die bei der Diagnose noch keine Symptome zeigen, also präsymptomatisch sind. AveXis strebt derzeit weitere Zolgensma®-Zulassungen an, wobei in der Schweiz, Kanada und Australien Entscheidungen der Behörden bis Ende 2020 oder Anfang 2021 erwartet werden.

Ohne Unterstützung sitzen

Die Sicherheit und Wirksamkeit von Zolgensma® wurde in mehreren Studien an Säuglingen untersucht (abgeschlossene Studien Phase 3 STR1VE-US und Phase 1 START). Zolgensma® wurde einmalig i.v. an symptomatische SMA-Typ-1-Patienten verabreicht, die Babys waren unter sechs Monate alt und hatten laut Zolgensma-Homepage zu Klinischen Studien zwei Kopien des SMN2-Backup-Gens. STR1VE-EU, eine vergleichbare Phase-3-Studie, ist im Gange. Zolgensma® zeigte laut Novartis ein verlängertes ereignisfreies Überleben und eine rasche Verbesserung der motorischen Funktion. Als Meilenstein gilt unter anderem die Fähigkeit der Kinder, ohne Unterstützung zu sitzen.

Zwei Millionen US-Dollar

Wie nach Zulassung von Zolgensma® die Erstattung geregelt wird, ist derzeit nicht klar. In den USA liegen die Behandlungskosten für die einmalige Verabreichung bei zwei Millionen Dollar. Novartis hat jedoch einer Mitteilung zufolge ein „Day One"-Zugangsprogramm konzipiert, das sicherstellen soll, dass Patienten so schnell wie möglich mit Zolgensma® behandelt werden können, auch wenn nationale Preis- und Erstattungsvereinbarungen noch nicht abgeschlossen sind.