Der besondere Rückblick: Das erste synthetische Schlafmittel
Bereits im Jahr 1832 hatte der Chemiker Justus von Liebig (1803–1873) die Substanz Chloralhydrat synthetisiert. Dies gelang ihm durch Chlorierung von Ethanol. Der deutsche Mediziner Oscar Liebreich (1839–1908) beschäftigte sich unter pharmakologischen Gesichtspunkten mit dieser Substanz. Er ging davon aus, dass Chloralhydrat im alkalischen Milieu des Bluts zu Chloroform zerfalle.
Da Chloroform bereits als Narkotikum bekannt war, untersuchte Liebreich auch Chloralhydrat in diese Richtung. Die Ergebnisse von Tierversuchen schienen ihm recht zu geben. Daraufhin testete er die Substanz auch an Patienten – und kam zum Schluss, dass Chloralhydrat ein sicheres Hypnotikum und Sedativum sei.
Chloralhydrat: Verbreitung als Schlaf- und Beruhigungsmittel
Liebreichs Theorie, dass Chloralhydrat im Organismus zu Chloroform umgewandelt werde, erwies sich später als falsch. Die sedierende und einschläfernde Wirkung blieb aber dennoch Fakt. Wie man heute weiß, ist dafür der Metabolit Trichlorethanol verantwortlich.
Nachdem Liebreich seine Erkenntnisse im Jahr 1869 veröffentlicht hatte, fand Chloralhydrat schnell Verbreitung als Schlaf- und Beruhigungsmittel. Insbesondere schätzte man seine sedierende Wirkung bei erregten Patienten in der Psychiatrie. Somit legte Chloralhydrat einst den Grundstein für die Psychopharmakaforschung.
Wenige Jahre später begann die Berliner Firma Byk, Chloralhydrat-Arzneimittel in großem Umfang herzustellen.
Gefahr von Nebenwirkungen bei Chloralhydrat
Allerdings wurden mit der breiten Anwendung auch zunehmend Berichte über die Risiken der Chloralhydrat-Anwendung publik. Man sah die gefährlichen Nebenwirkungen, vor allem auf Herz und Leber. Auch die Gefahr von Abhängigkeit und Wirkungsverlust wurde erkannt.
Dennoch hatte Chloralhydrat weiterhin seine Berechtigung. Bis heute wird dieses erste synthetisch hergestellte Schlaf- und Beruhigungsmittel verwendet und zwar zur kurzfristigen Behandlung schwerer Schlafstörungen (Chloraldurat®).
Chloralhydrat gab aber auch den Anstoß zu systematischen psychopharmakologischen Forschungen. Als eines ihrer Resultate wurden Anfang des 20. Jahrhunderts die Barbiturate in die Medizin eingeführt.Quellen:
DAZ Nr. 4/2019, S. 56ff; G. Gründer, O. Benkert: Handbuch der Psychopharmakotherapie, Springer-Verlag 2011