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Leseprobe PTAheute 23/2018: Bewegung trotz Übergewicht

Bild: Julialine – iStockphoto.com

Etwas schwerfällig läuft Alexander zum Beckenrand. Die neugierigen Blicke entgehen ihm nicht. Alexander ist 36 Jahre alt und wiegt bei einer Körpergröße von eins achtzig knappe 150 Kilogramm. Noch ist er zwar „gesund“, fühlt sich aber zunehmend unwohl und ist deshalb trotz aller Widrigkeiten fest entschlossen, etwas gegen sein Übergewicht zu unternehmen.

Übergewicht oder Adipositas?

Wie Alexander geht es vielen Menschen. Beinahe jeder zweite Deutsche ist gemäß einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes übergewichtig, Männer zu einem höheren Prozentsatz als Frauen. Laut der Deutschen Adipositas Gesellschaft spricht man bei einem Body-Mass-Index (BMI = Gewicht durch Körpergröße im Quadrat) zwischen 25 und 29,9 kg/m2 von Übergewicht, ab einem BMI von 30 kg/m2 handelt es sich um eine Adipositas (Fettleibigkeit). Diese wird in drei Grade unterteilt: Adipositas Grad 1 bis zu einem BMI von 34,9 kg/m2, Adipositas Grad 2 bis zu einem BMI von 39,9 kg/m2 und Adipositas Grad 3 ab einem BMI von 40 kg/m2 und mehr. Je stärker ausgeprägt die Adipositas ist und je länger sie besteht, desto schwerwiegender sind die Folgen und die Belastungen im Alltag. Und genau dieser Alltag wird für manchen oft schon zur Herausforderung.

Viele Bewegungen und Erledigungen wie zum Beispiel Bücken, Schuhebinden oder Treppensteigen, welche für Normalgewichtige im Regelfall keine Schwierigkeit darstellen, können für Menschen mit sehr hohem Gewicht durchaus problematisch sein. Da helfen auch keine gut gemeinten Ratschläge wie „Iss doch mal weniger und gesünder“ oder „Mach doch mal Sport“. Solche Empfehlungen lassen die Betroffenen eher verzweifeln, als dass sie sich verstanden fühlen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der BMI (Body-Mass-Index) ist der Quotient aus Körpergewicht durch Körpergröße im Quadrat (kg/m2).
  • Bei einem BMI zwischen 25 und 29,9 handelt es sich um Übergewicht, ab einem BMI von 30 spricht man von Adipositas (Fettleibigkeit).
  • Zu den möglichen Folgeerkrankungen von starkem Übergewicht zählen vor allem das metabolische Syndrom (Insulinresistenz, Fettstoffwechselstörungen, Hypertonie), Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkbeschwerden oder psychische Probleme.
  • Durch gelenkschonenden und individuell angepassten Sport können vor allem Folgeerkrankungen reduziert, aber auch Gewicht und Kondition verbessert werden.

Folgen vermeiden

Auch Alexander kann „diese schlauen Sprüche alle nicht mehr hören“. Er hat in der Tat schon viel versucht. Zahlreiche Diäten schlugen fehl, nach dem Joggen bekam er starke Knieschmerzen und eine Magenverkleinerung möchte er zunächst vermeiden.

Nach seinem letzten Arztbesuch ist er jedoch fest entschlossen, eine für ihn passende Sportart zu finden, „um Schlimmeres zu verhindern“. Der Internist erklärte ihm, dass Sport vor allem wichtig sei, um die Folgen der Adipositas zu vermeiden. Diese kennt Alexander nur zu gut. Sein ebenfalls stark übergewichtiger Vater ist schon lange Typ-2-Diabetiker und hatte vor ein paar Jahren bereits einen Herzinfarkt. Auch wenn durch Bewegung allein nicht immer eine signifikante Reduktion des zu hohen Körpergewichts zu verzeichnen ist, lassen sich zumindest dessen Folgeerkrankungen vermindern oder gar vermeiden. Klassische Folgeerkrankungen einer Adipositas sind in erster Linie das metabolische Syndrom, das durch Fettstoffwechselstörungen, Insulinresistenz und Bluthochdruck (siehe Artikel ab Seite 28) gekennzeichnet ist. Hierzu gesellen sich nicht selten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkbeschwerden oder psychische Probleme wie zum Beispiel Depressionen.

Gezielter und wohldosierter Sport kann hier tatsächlich Schlimmeres verhindern. Durch eine sportliche Betätigung wird nicht nur Fettgewebe ab- und Muskelgewebe aufgebaut, sondern gleichzeitig auch einer Insulinresistenz entgegengewirkt sowie der Blutdruck und Cholesterinspiegel langfristig gesenkt.

Eine schonende sportliche Betätigung kann aufgrund des zunehmenden Muskelaufbaus auch bestehende Gelenkprobleme bessern und damit wieder eine aktivere Teilnahme am Alltag ermöglichen. Letzteres kann auch die psychische Situation vieler Betroffener verbessern.

Dick und fit? – Das geht!

Doch welcher Sport kommt für übergewichtige Menschen überhaupt infrage? Klar ist: Eine sportliche Betätigung muss unbedingt an die aktuelle gesundheitliche Gesamtsituation des Übergewichtigen angepasst werden. Eine medizinische Untersuchung ist daher generell anzuraten, ab einem BMI von über 30 kg/m2 ist sie jedoch zwingend erforderlich. Diese sollte idealerweise ein Blutbild, einen Herz-Kreislauf-Check samt Belastungs-EKG und eine Überprüfung von Gelenken und Wirbelsäule umfassen. Dem Ergebnis entsprechend kann das Sportprogramm an die individuelle Situation angepasst werden. Entscheidend ist dabei – auch für „topfitte“ Übergewichtige –, sich eine gelenkschonende Sportart auszusuchen.

Um Entmutigungen und Verletzungen vorzubeugen, sollte am Anfang zunächst mit kleineren, kürzeren Trainingseinheiten begonnen werden. Je nach Ausgangs-BMI kann für manche schon Treppensteigen ausreichend sein, um sie an ihre Grenzen zu bringen.

Sehr wichtig ist auch der Einsatz von geeignetem Schuhwerk. Da die Fußsohlen und Gelenke beim Sport einer besonders hohen Belastung ausgesetzt sind, sollten Schuhe mit ausreichender Polsterung und gutem Halt verwendet werden. Gegebenenfalls sind orthopädische Einlagen oder Schuhe sinnvoll.

Im Wasser geht’s leichter

Alexander hat sich fürs Schwimmen entschieden. Es ist der einzige Sport, bei dem er hinterher keine Schmerzen hat und der ihn zwar fordert, aber nicht gänzlich an den Rand seiner Leistungsfähigkeit bringt.

Tatsächlich ist Schwimmen eine der gesündesten und schonendsten Sportarten für übergewichtige Menschen. Die Bewegung im Wasser lässt nämlich nicht nur das Körpergewicht um etwa zehn Prozent leichter erscheinen, sondern stärkt die gesamte Muskulatur und wirkt gleichermaßen heilsam auf Herz, Kreislauf und Atmung. Durch den erhöhten Druck im Wasser wird das Blut aus der Peripherie in Richtung Herz und Lungen befördert und sorgt dort für eine verbesserte Durchblutung und Funktion der Organe. Damit ist Schwimmen oder Aquagymnastik einerseits gelenkschonend, andererseits werden die Ausdauer, die Fettverbrennung und körperliche Leistungsfähigkeit gefördert.

Etwas vorsichtiger sollten allerdings Menschen mit bereits bestehenden Herzerkrankungen sein. Aufgrund der Verschiebung des Blutvolumens („Tauchreflex“) verringert sich die Herzfrequenz um etwa zehn bis 15 Schläge pro Minute. Herzkranke (vor allem Herzinsuffiziente) sollten daher bei der Wassergymnastik darauf achten, dass sie aufrecht stehend nicht tiefer als bis zum unteren Rippenbogen ins Wasser eintauchen.

Auf dem Wasser: Rudern

Wer nicht gern ins Wasser geht, kann es auch auf dem Wasser versuchen. Rudern hat sich dabei als ähnlich gelenkschonend und effektiv erwiesen. Ausdauer und Leistungsfähigkeit werden durch die gleichmäßige Bewegung gefördert und der Fettabbau angeregt.

Allerdings findet – anders als beim Schwimmen – ein Muskelaufbau vornehmlich in der oberen Körperhälfte statt. Um Fehlbelastungen zu vermeiden, ist es allerdings wichtig, die korrekte Technik des Ruderns zu lernen. Dazu bietet sich entweder ein Ruderverein oder alternativ auch ein Rudergerät im Fitnessstudio an.

Sanfter Sport mit Pilates

Mit Pilates lassen sich zwar keine Muskelmassen aufbauen, aber durch regelmäßiges Training werden vor allem Körperhaltung und Kondition nachhaltig verbessert.

Die Übungen zielen darauf ab, Atmung, Körperwahrnehmung und das Zusammenspiel der Muskeln zu schulen. Dabei werden in den verschiedenen Trainingseinheiten vor allem die tiefliegenden und eher schwach ausgeprägten Muskeln der Körpermitte trainiert.

Zum sogenannten Powerhouse gehören die tiefe Stützmuskulatur rund um die Wirbelsäule, die Beckenbodenmuskulatur und die tiefen Bauchmuskeln. Immer mit dem Ziel der Aus- und Aufrichtung, lassen sich erste Erfolge oft schon nach wenigen Wochen verzeichnen. Da sämtliche Bewegungsabläufe koordiniert, weich und damit gelenkschonend ausgeführt werden, können auch sehr stark Übergewichtige daran teilnehmen. Die Übungen lassen sich meist gut variieren, sodass sie auch an Fitness und Trainingsstand individuell angepasst werden können.

Radfahren oder Ergometer?

Radfahren kann fast jeder und ein Fahrrad besitzen auch die meisten. Warum also nicht die Fahrt zur Arbeit mit der nötigen Sporteinheit verbinden? Klingt gut und ist sicher für den einen oder anderen die richtige Entscheidung. Aber so einfach ist es leider nicht immer. Zwar stellt Fahrradfahren eine relativ gelenkschonende Ausdauersportart dar, ist aber für Untrainierte und stark Adipöse meist mit größeren Schwierigkeiten verbunden als andere Betätigungen. Auch wenn sich der Sitzkomfort für das Gesäß durch einen breiteren und weicheren Sattel etwas verbessern lässt, sind die Anforderungen an Knie, Rücken und Handgelenke für manchen dennoch viel zu hoch. Daher ist vor allem für stark Adipöse ein Ergometertraining meist die bessere Wahl. Hier gibt es sogar sogenannte Liege-Ergometer mit Rückenlehne und besonders breitem Sattel, welche auch sehr schweren Menschen ein Training ermöglichen.

Wie erkläre ich es meinem Kunden?

  • „Da Sie unter einem insulinpflichtigen Diabetes leiden, sollten Sie beim Sport auf Anzeichen einer Hypoglykämie achten. Messen Sie daher unmittelbar vor und nach dem Sport Ihren Blutzucker und passen Sie gegebenenfalls die Insulinmenge an oder führen Sie kurz vor dem Sport entsprechend etwas mehr Kohlenhydrate zu.“
  • „Wenn Sie sich für Nordic Walking entscheiden, sollten Sie unbedingt auf passendes Schuhwerk achten. Sprechen Sie gegebenenfalls vorher noch einmal mit Ihrem Orthopäden wegen entsprechender Einlagen oder orthopädischer Schuhe.“
  • „Wassergymnastik ist zwar ein sehr schonender Sport, wegen Ihrer Herzinsuffizienz sollten Sie dies aber sicherheitshalber zuerst mit Ihrem Kardiologen abklären. Achten Sie im Wasser darauf, nur bis zum Bauch einzutauchen, um das Herz nicht zusätzlich zu belasten.“
  • „Vielerorts gibt es auch sogenannte Adipositas-Sportgruppen, deren Programm speziell auf die Bedürfnisse von übergewichtigen Menschen zugeschnitten ist.“

Walken nur für „leichte Schwere“

Beim Walken werden durch das koordinierte Zusammenspiel von Arm- und Beinarbeit sämtliche Muskelgruppen trainiert. Intensität und Dauer der Trainingseinheit können an den jeweiligen Fitnessstand individuell angepasst werden. Durch regelmäßiges Training lassen sich sowohl Ausdauer als auch Herz-Kreislauf-Tätigkeit, Muskulatur und nicht zuletzt das Gewicht verbessern. Allerdings sollte bei einem sehr hohen Ausgangsgewicht zunächst auf eine gelenkschonendere Sportart ausgewichen werden.

Gemeinsam abnehmen

Oft scheitern Abnehmversuche schlichtweg an der nötigen Motivation. Sätze wie „Ach, heute Abend geh ich nicht mehr zum Sport“ kennt jeder von sich selbst. Für viele Übergewichtige kommt schließlich noch die Angst hinzu, sich zu blamieren oder den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Aus dieser Motivation heraus wurden Sportgruppen mit geschulten Therapeuten gegründet, welche ein spezielles Programm für übergewichtige Menschen anbieten. Diese sogenannten Adipositas-Sportgruppen gibt es in fast allen Städten und größeren Gemeinden. Vor allem gelenkschonende Sportarten wie Schwimmen, Wassergymnastik, Walken oder sogar Box-Workouts werden angeboten. Quelle: Nicole Schlesinger
APOTHEKERIN, HEILPRAKTIKERIN UND FACHJOURNALISTIN, PÖCKING
autor@ptaheute.de