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55 Jahre Valium®

Bild: Stephanb WikimediaCommons

Geburtsstunde der Benzodiazepine

Die Geschichte zu Valium® beginnt in den 1950er-Jahren – und zwar mit einem Zufall: In einem amerikanischen Forschungslabor der Basler Firma Hoffmann-La Roche wurde nach neuen Beruhigungsmitteln geforscht. Man suchte Substanzen, die ungefährlicher waren als die bisher verfügbaren, etwa die Barbiturate. Die meisten der neu synthetisierten Verbindungen erwiesen sich jedoch als pharmakologisch uninteressant. Das Forschungsprogramm wurde eingestellt. Bei den Aufräumarbeiten im Labor stießen die Wissenschaftler auf zwei übrig gebliebene Substanzen. Routinemäßig wurden auch diese noch getestet – mit erstaunlichen Ergebnissen.

Überraschende Eigenschaften

Im Tierexperiment an Mäusen stellte man mit der ersten Substanz beruhigende, krampflösende und muskelrelaxierende Effekte fest. Erfreulicherweise erwies sich die Toxizität als sehr gering. Dies war die Geburtsstunde des ersten Benzodiazepins: Chlordiazepoxid, das unter dem Handelsnamen Librium® 1960 den Markt eroberte. Für einen noch größeren Boom sorgte das zweite Benzodiazepin: Diazepam (Valium® Roche), das 1963 eingeführt wurde. Erfinder der neuen Substanzklasse war der Chemiker Leo Henryk Sternbach – Sohn eines polnisch-jüdischen Apothekers (1908–2005).

Eine „rosa Brille“ 

Wer zur Alltagsbewältigung ein bisschen Unterstützung benötigte, dem wurde Valium® verschrieben. Es versprach Entspannung und guten Schlaf, beseitigte Reizbarkeit und Angst und ließ einen alles durch die „rosa Brille“ sehen. Vor allem Frauen rund um die Wechseljahre zählten in den 1960er-Jahren zu den Hauptkonsumenten. „Klimakterische Beschwerden“ und „Vegetative Dystonie“ gehörten denn auch explizit zu den Indikationen. Valium® und folgende Benzodiazepine wurden in Abgrenzung zu bisherigen Sedativa nun als „Tranquilizer“ bezeichnet.

Euphorie und Ernüchterung

Die Euphorie über die vermeintlich nebenwirkungsfreien neuen Mittel war groß. Vor allem beeindruckte ihre große therapeutische Breite. Auch suizidgefährdete Menschen konnten mit Valium® kaum Missbrauch treiben. Dennoch zogen bald Schatten über dem Tranquilizer auf. Es zeigte sich, dass Patienten von Valium® abhängig wurden. Außerdem hatte die Substanz in Kombination mit Alkohol unheilvolle Wirkungen. Schlagzeilen machten die Zusammenbrüche von Prominenten wie der Schriftstellerin Simone de Beauvoir oder der Schauspielerin Elizabeth Taylor. Auch beim Tod von Elvis Presley (1977) war offenbar Diazepam mit im Spiel.

Risiken und Abhängigkeitsgefahr

Heute kennt man die zahlreichen Risiken der inzwischen zahlreichen Benzodiazepine (z.B. Bromazepam, Midazolam, Nitrazepam, Oxazepam). Sie können unter anderem die Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit mindern, Gedächtnisstörungen und Verwirrtheitszustände hervorrufen und wegen der muskelentspannenden und hypnotischen Wirkung zu Stürzen führen. Man geht außerdem davon aus, dass es in Deutschland mehr als eine Million Benzodiazepin-Abhängige gibt. Dennoch stellen „Benzos“ nach wie vor wichtige Arzneimittel dar. Je nach Substanz werden sie vorzugsweise bei Angst-, Spannungs- und Erregungszuständen, als Schlafmittel, bei Epilepsie, bei muskulären Verspannungen oder vor operativen Eingriffen eingesetzt.

An die 4-K-Regel denken

Um die Abhängigkeitsgefahr zu minimieren, sollte man bei der Kundenberatung an die griffige 4-K-Regel denken:

  • Klare Indikation: Einnahme nur, wenn medizinisch notwendig, nicht vorbeugend
  • Kleinste notwendige Dosis: nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich einnehmen
  • Kurze Anwendung: Einnahme möglichst auf 14 Tage beschränken
  • Kein schlagartiges Absetzen: Medikament langsam ausschleichen

Quellen: DAZ Nr. 16/2014; DAZ Nr. 32/2013; www.psychosoziale-gesundheit.net; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS)