Todesfälle durch Influenza: Grippeimpfung hätte tausende Patienten retten können
Die Grippe wird unterschätzt. Die eigentlichen Erkrankungszahlen und Todesfälle durch die Virusgrippe Influenza liegen nach Ansicht des Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission (STIKO), Professor Thomas Mertens, deutlich höher. Der Mediziner des Universitätsklinikums Ulm (Virologie) ist auch in der Arbeitsgemeinschaft Influenza am Robert Koch-Institut (RKI) aktiv.
Dunkelziffer bei Influenzadaten offenbar hoch
Die jeweils aktuellen Zahlen zum Influenzageschehen in Deutschland erfasst das RKI, genauer gesagt die dortige Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI). Als neuste Zahlen (Kalenderwoche 15) meldet das RKI 329.752 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle und 1414 Patienten, die in dieser Saison mit einer Grippeinfektion verstorben sind. Allerdings kann das RKI auch nur die Grippefälle labordiagnostisch untersuchen, die es erhält – und bei Weitem nicht jede kursierende Influenzainfektion wird in den ärztlichen Praxen festgestellt. Zusätzlich gehen manche Patienten gar nicht zum Arzt, und auch diese Grippefälle werden nicht erfasst.
STIKO-Chef Mertens hat jüngst bei einem Internisten-Kongress (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, DGIM) in Mannheim seine Einschätzung zur tatsächlichen Grippesituation erklärt. Mertens geht von rund zehnmal mehr Grippefällen aus und so auch von einer zehnfach höheren Zahl der grippebedingten Todesopfer. Das wären hochgerechnet auf die 1287 Todesfälle der Kalenderwoche 14, auf die sich Mertens bezog, etwa 12.000 Patienten, die die Grippe in diesem Winter nicht überlebt hätten. Die Ärztezeitung berichtete darüber.
Dreifach-und Vierfachgrippeimpfung sorgte in der
Grippesaison 2017/18 für Unmut
Wie sieht es mit der Grippeimpfung aus? Die war in der diesjährigen Grippesaison 2017/18 besonders heftiger Kritik ausgesetzt. Wobei der hauptsächliche Vorwurf eher an die Krankenkassen adressiert war. Was war das Problem? Vor dem dominierend zirkulierenden Influenza-B-Stamm Yamagata schützte direkt nur die vierfache Grippeimpfung. GKV-Patienten erhielten jedoch standardmäßig den trivalenten Grippeschutz. Das stachelte den Unmut der Bevölkerung und von Patientenschützern an, da privat krankenversicherte Patienten regelhaft eher mit der quadrivalenten Vakzine geimpft wurden. Für die kommende Impfsaison 2018/19 hat Anfang April der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nun die standardmäßige Vierfachimpfung gegen Influenza abgesegnet. Er folgt damit den neuen Empfehlungen der STIKO vom November 2017.
Allerdings – eine Grippeimpfung kann auch nur helfen, wenn man sich auch tatsächlich impfen lässt. Und hier übernehmen – unabhängig von tri- oder tetravalenter Influenzavakzine – die Bundesbürger mitnichten eine Vorreiterrolle. Denn in der letztjährigen Grippesaison 2016/17 ließen sich nur 34,8 Prozent der Deutschen, denen eine Grippeimpfung empfohlen wird, auch vor Influenza schützen. Zu dieser Gruppe zählen ältere Menschen ab 60 Jahren, Schwangere, chronisch kranke Kinder/Jugendliche/Erwachsene mit Diabetes mellitus oder einer Immunschwäche wie HIV beispielsweise und medizinisches Personal.
Auch geringer Impfschutz kann Grippetodesfälle verhindern helfen
Dass der Impfschutz nicht optimal ist, wird häufig als Argument für die Entscheidung gegen eine Impfung ins Feld geführt. In der aktuellen Grippesaison 2017/18 war der Impfschutz jedoch gar nicht so schlecht. Er lag nach einer vorläufigen Auswertung des RKI bei
46 Prozent. Auch hier hat der Vorsitzende der STIKO, Professor Mertens, eine Hochrechnung gewagt. Selbst bei einem Schutz der Grippeimpfung von nur 40 Prozent, hätten bei den angenommenen 12.000 Todesfällen 4800 Patienten gerettet werden können.
Schwerste Grippewelle seit langem
In diesem Winter wütete das Influenzavirus besonders heftig. Es erkrankten nach aktuellem Stand 65 Prozent mehr Bundesbürger an Grippe (329.752) als im Vorjahr (113.497). Mittlerweile ist die Influenza auf dem Rückzug. 4031 Neuinfektionen liegen dem RKI derzeit vor (Kalenderwoche 15). Zum Vergleich: Vor fünf Wochen (Kalenderwoche 10) waren 46.382 Menschen bundesweit neu an Grippe erkrankt. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO äußerte vor kurzem Sorge ob der Schwere der Influenza und dem impfmüden Verhalten - nicht nur in Deutschland. Der Plan, eine EU-weite Durchimpfung der älteren Bevölkerung mit 75 Prozent zu erreichen - bis 2010 - ist gescheitert. Die WHO warnte, dass die geringe Bereitschaft zur saisonalen Influenza-Impfung im Falle einer Pandemie den Schutz der gesamten Bevölkerung gefährde. Auch das RKI vertritt die Meinung: "Impfungen sind die wirksamste Maßnahme zur Verhinderung schwerer Krankheitsverläufe bei Influenza".