mehr wissen: Sarkopene Adipositas: Mehr Bewegung
Sehr häufig klagen übergewichtige Patienten, die ihre Energiezufuhr einschränken, um Gewicht zu verlieren, darüber, dass ihre Kraft und Beweglichkeit nachlassen. Die Europäische Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Stoffwechsel (ESPEN) und die Europäische Vereinigung zur Erforschung von Adipositas (EASO) nahmen gehäufte Berichte über dieses Phänomen zum Anlass, um ein internationales Expertenpanel zu gründen, das sich mit dem neuen Krankheitsbild „Sarkopene Adipositas“ beschäftigt. Die Experten erstellten 2023 eineklinische Definition und erarbeiten nun Diagnoseverfahren und entwickeln geeignete Therapiemöglichkeiten.
Sarkopenie erst im Alter
Grundsätzlich führt in jedem Alter jede ausgedehnte Bewegungslosigkeit wie längere Bettlägerigkeit mit der Zeit zum Muskelschwund. Die medizinische Bezeichnung „Sarkopenie“ dagegen beschreibt den natürlichen, altersbedingten und zunehmend degenerativen Abbau von Skelettmuskulatur und den damit einhergehenden Verlust von Muskelkraft mit einer Abnahme der körperlichen Ausdauer.
Muskelmasse wird bei allen Menschen mit dem Alter abgebaut. Ab dem 50. Lebensjahr gehen etwa ein bis zwei Prozent der Skelettmuskulatur pro Jahr verloren. Bei 80-Jährigen rechnet man sogar mit einem Gesamtverlust von 40 % der ursprünglichen Muskelmasse. Doch manche bleiben trotz Muskelabbau fitter und beweglicher als andere, da sie auch im Alter weiterhin Sport treiben und dadurch die Muskelkraft der verbleibenden Muskulatur erhalten bleibt.
Ältere Menschen, chronisch Erkrankte mit Krebs, Diabetes oder Herzerkrankungen, Patienten mit längerer Unbeweglichkeit aufgrund eines Unfalls sowie Menschen, die im Krankenhaus liegen oder im Pflegeheim wohnen, haben sehr häufig einen Bewegungsmangel, der auch sehr schnell zu einem Muskelschwund führen kann. Ein Forschungsprojekt der Deutschen Rheuma-Liga zeigte, dass Patienten mit rheumatoider Arthritis im Vergleich zu nicht Erkrankten elfmal häufiger von einer Sarkopenie betroffen sind. Zu wenig Bewegung und eine Mangelernährung können sowohl bei Männern als auch Frauen gleichermaßen zu einer Sarkopenie führen – obwohl Männer häufiger betroffen sind als Frauen. Weitere Risikofaktoren sind eine zu geringe Proteinzufuhr, ein ausgeprägter Vitamin-D-Mangel, ein Mangel an Estrogenen und Testosteron sowie Entzündungsprozesse, die den Muskelabbau fördern. An einer Sarkopenie leiden inzwischen fünf bis 13 % der 60- bis 70-Jährigen und jeder Zweite über 80-Jährige.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei einer sarkopenen Adipositas kommt es durch Bewegungsmangel zu einem Muskelschwund, der wegen des Übergewichts oft unbemerkt bleibt. Sie kann in jedem Alter entstehen.
- Zur Diagnose sollten die Körperzusammensetzung mit Fett- und Muskelmasse ermittelt und die Muskelfunktion getestet werden. Die Bestimmung des BMI ist nicht ausreichend.
- Bei der Gewichtsreduktion durch Diäten wird häufig nicht nur Fett, sondern auch Muskelmasse abgebaut, daher sind zum Erhalt und Aufbau der Muskeln Ausdauer- und Krafttraining sowie eine ausreichende Proteinzufuhr wichtig.
Sarkopene Adipositasschon in jungen Jahren
Beim neu eingeführten Krankheitsbild „Sarkopene Adipositas“, die in jedem Alter entstehen kann, ist bei starkem Übergewicht die Fettmasse hoch, der Anteil an Muskelmasse zu niedrig und es liegt eine Beeinträchtigung der Muskelfunktion vor. Oftmals wird der Muskelschwund, der durch fehlende Bewegung verursacht wird, durch das Übergewicht nicht erkannt. Zusätzlich laufen adipöse junge oder ältere Personen Gefahr, wenn sie Diäten zur Gewichtsreduktion durchführen, nicht nur Fett, sondern auch Muskelmasse abzubauen.
Patienten mit einer sarkopenen Adipositas sind anfälliger für Krankheiten und gesundheitliche Probleme. Zum Beispiel ist die Atemleistung verringert, da auch die Atemmuskulatur schwindet. Daher vermutet man einen Zusammenhang mit schweren Krankheitsverläufen während der Coronapandemie. Bei Kindern und Jugendlichen mit einer sarkopenen Adipositas ist das Risiko für ein metabolisches Syndrom und kardiovaskuläre Erkrankungen noch weiter erhöht.
Hoher BMI ist noch keine Diagnose
Zur Diagnose der sarkopenen Adipositas reichen eine alleinige Messung des Körpergewichtes und die Bestimmung des Body-Mass-Indexes (BMI) nicht aus, da sich so keine Aussagen über die vorhandene Muskelmasse treffen lassen. Daher sollten die Körperzusammensetzung mit Fett- und Muskelmasse, beispielsweise mittels einer bioelektrischen Impedanzanalyse (BIA), ermittelt und die Muskelfunktion getestet werden. Dafür gibt es standardisierte Tests: Wie viel Meter können in einer Zeit von sechs Minuten gelaufen werden und wie oft kann der Patient innerhalb einer Minute vom Stuhl aufstehen und sich wieder hinsetzen?
Bei Programmen zur Gewichtsreduktion muss der Fokus auch darauf liegen, dass die Muskelmasse bei der Gewichtsabnahme nicht abgebaut wird. Eine kombinierte Maßnahme aus ausgewogener, individuell ausreichender Proteinzufuhr sowie regelmäßigem Krafttraining unterstützt den Muskelaufbau am besten.
Wie erkläre ich es meinen Kunden?
- „Bei vielen herkömmlichen Diäten zur Gewichtsreduktion besteht die Gefahr, dass nicht nur Fett, sondern auch wichtige Muskelmasse abgebaut wird. Damit Ihre Muskulatur erhalten bleibt und weiter aufgebaut wird, müssen Sie bei Ihrer kalorienreduzierten Ernährung darauf achten, dass Sie genug Protein aufnehmen, und regelmäßig, mindestens zweimal pro Woche, ein Krafttraining durchführen.“
- „Nicht nur tierische, sondern auch pflanzliche Lebensmittel sind reich an Protein. Sollten Sie über die Ernährung trotzdem nicht ausreichend Protein zu sich nehmen können, besprechen Sie mit Ihrem Therapeuten, ob Sie auch Proteinshakes anwenden können.“
Proteinreiche, ausgewogene Ernährung
Eine ausgewogene Ernährung sollte alle Nährstoffe zuführen, die der Körper benötigt. Die Lebensmittelauswahl hängt von den individuellen Bedürfnissen ab. Empfehlenswert ist ein hoher Anteil an pflanzlicher Nahrung.
Während für Normalpersonen täglich 0,8 g Protein pro kg Körpergewicht (KG) als angemessene Zufuhr ausreichen können, ist für den Muskelaufbau, abhängig von der Intensität und Dauer des Trainings, eine höhere Proteinzufuhr von etwa 1,0 bis 1,5 g Protein pro kg KG und Tag notwendig. Eine stark adipöse Person, die beispielsweise ein Körpergewicht von ungefähr 80 kg anstrebt, sollte mindestens 90 bis 100 g Protein pro Tag aufnehmen. Die Datenlage zur optimalen Proteinzufuhr bei Adipositas ist momentan nicht eindeutig. Für Erwachsene wird eine Proteinzufuhr in doppelter Höhe des Referenzwerts von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) aber als sicher angesehen.
Die Proteinzufuhr sollte gleichmäßig über den Tag verteilt erfolgen. Anhand von Ernährungsprotokollen, die mindestens über drei verschiedene Tage geführt werden sollten, kann die bisherige Proteinzufuhr ermittelt und anschließend optimiert werden.
Nicht nur tierische, sondern auch pflanzliche Lebensmittel tragen zur Bedarfsdeckung bei. Ist die Proteinzufuhr nicht ausreichend, sollten bevorzugt pflanzliche Proteinträger wie Hülsenfrüchte, Getreide und Nüsse empfohlen werden, da diese Lebensmittel zusätzlich auch sättigende Ballaststoffe zuführen. Nicht nur die Quantität, sondern insbesondere die Qualität des Proteins ist entscheidend für die Muskulatur. So bietet der gemeinsame Verzehr von pflanzlichen mit tierischen Lebensmitteln (z. B. Kartoffeln mit Ei oder Getreideflocken mit Joghurt) oder verschiedenen pflanzlichen Lebensmitteln (z. B. Linsensuppe mit Kartoffeln oder Müsli mit Sojadrink) eine hochwertige Proteinqualität.
Weiterhin sollte auch bei der Auswahl der proteinreichen Lebensmittel auf einen niedrigen Fettgehalt geachtet werden, damit bei einer höheren Proteinzufuhr nicht gleichzeitig auch die Fettaufnahme ansteigt. So liefert ein Glas Buttermilch oder fettarme Milch genauso viel Protein wie die fettreiche Variante. Fettärmerer Käse, zum Beispiel mit 30 % Fett in der Trockenmasse, und mageres Fleisch wie beispielsweise Putenschnitzel weisen sogar einen höheren Proteingehalt auf als die fettreicheren Produkte. Kann über den Lebensmittelverzehr die Proteinzufuhr nicht gedeckt werden, könnte auch ein proteinreicher Shake in den Tagesplan eingebaut werden. •