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mehr wissen: Arzneimittel bei Hitze: Vorsicht bei hohen Temperaturen

Der deutliche Anstieg der Temperatur gehört zu den Folgen des Klimawandels: Man konnte messen, dass die Durchschnittstemperaturen in Deutschland zwischen 2011 bis 2020 um 2 °C höher lagen als noch zwischen 1881 und 1890. Außerdem steigt die Anzahl der heißen Tage mit Temperaturen über 30 °C. Setzt man die Wetteraufzeichnungen in Beziehung zu den Sterbefällen, sieht man, dass bei Hitze weltweit deutlich mehr Menschen sterben als bei normalen Temperaturen – insbesondere Menschen über 70 Jahre. Dafür sind übrigens nicht die direkten Auswirkungen der Hitze, zum Beispiel ein unbehandelter Hitzschlag, verantwortlich.

Anpassungsmechanismen …

Um die höheren Temperaturen auszugleichen und die Körpertemperatur konstant zu halten, verfügt der Körper über mehrere Anpassungsmechanismen. Temperaturempfindliche Nerven in der Haut registrieren die gestiegene Temperatur und leiten die Information ans Gehirn weiter. Das löst eine Vasodilatation aus, um das Blut als wichtigsten Wärmetransporter im Körper in Richtung der Haut umzuverteilen. So kann die Wärme effektiver an die Umgebung abgegeben werden. Die Vasodilatation belastet das Herz, denn es muss stärker und schneller schlagen. Infolgedessen steigt der Sauerstoffverbrauch im Herzmuskelgewebe, was vor allem bei einem vorgeschädigten Herzen problematisch sein kann. Doch auch bei völlig gesunden Menschen kann es zu Herz-Kreislauf-Beschwerden und in schweren Fällen sogar zum Herzinfarkt kommen, zum Beispiel, wenn bei Hitze zu intensiv trainiert wird.

Um den Körper zusätzlich durch Verdunstung zu kühlen, produziert der Körper bei Hitze mehr Schweiß. Wird das so verlorene Wasser nicht durch regelmäßiges Trinken ersetzt, kommt es zu einer Dehydrierung mit verringertem Blutvolumen. Dadurch wird das Herz noch stärker belastet, außerdem kann es zu einem akuten Nierenversagen kommen. Auch die Lunge wird bei Hitze deutlich stärker gefordert, da die Ozonkonzentration und die Feinstaubbelastung höher sind. Während gesunde Menschen dies nur bei großer Belastung merken, haben Menschen mit Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD ein deutlich erhöhtes Risiko für Atemprobleme.

Das Wichtigste in Kürze

  • Durch den Klimawandel kommt es zu mehr und längeren Hitzeperioden, für die eine erhöhte Sterblichkeit festgestellt wurde.
  • Gefährdet sind vor allem ältere Patienten, die unter einer Herzinsuffizienz oder Hypertonie leiden.
  • Durch Arzneimittel wird die Anpassungsfähigkeit an hohe Temperaturen beeinträchtigt, außerdem treten häufiger Nebenwirkungen auf.
  • Durch die verstärkte Durchblutung der Haut wirken transdermal applizierte Arzneimittel stärker.

… werden außer Kraft gesetzt

Nicht nur Ältere, sondern auch Säuglinge, Kleinkinder und Schwangere reagieren empfindlich auf Hitze, denn die Anpassungsmechanismen des Körpers funktionieren bei ihnen nicht oder nur eingeschränkt. Kommen noch Arzneimittel hinzu, ist der Schutz vor Hitze besonders wichtig. Das höchste Risiko für hitzebedingte Nebenwirkungen haben Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Hypertonie oder Herzinsuffizienz. Wegen der hitzebedingten Weitstellung der Blutgefäße wirken blutdrucksenkende Arzneimittel wie Betablocker, ACE-Hemmer, Sartane oder Vasodilatatoren wie Calciumkanalblocker und Nitrate stärker, sodass es zu Kreislaufbeschwerden, Ohnmacht und im schlimmsten Fall zum Herzinfarkt kommen kann. Betablocker behindern außerdem die Anpassung an die hohen Temperaturen, denn sie hemmen die Weitstellung der Blutgefäße in der Haut. Bei kardiovaskulären Erkrankungen werden zusätzlich häufig Diuretika verordnet, denn sie schwemmen überschüssige Flüssigkeit aus und entlasten das Herz-Kreislauf-System. An heißen Tagen wirken sie stärker, sodass mehr Flüssigkeit ausgeschieden wird. Wird gleichzeitig zu wenig getrunken, kann es zu einer Exsikkose, einer lebensbedrohlichen Elektrolytentgleisung und im schlimmsten Fall zum Nierenversagen kommen. Neben Diuretika können auch Laxanzien zu einem verstärkten Flüssigkeitsverlust führen.

Gehemmte Temperaturregulierung

Eine weitere Nebenwirkung von Arzneimitteln, die bei Hitze zu Problemen führen kann, ist der Eingriff in die Temperaturregulation des Körpers. So hemmen anticholinerg wirkende Präparate über eine Blockade der Acetylcholinrezeptoren die Funktion der Schweißdrüsen, andere Wirkstoffe greifen in die zentraleThermoregulation ein. Beides führt zu einem Anstieg der Körpertemperatur und tritt beiverschiedenen Wirkstoffgruppen auf. Dazu gehören zum Beispiel tricyclische Antidepressiva, die Antiepileptika Carbamazepin und Topiramat, einige Neuroleptika wie Melperon, Pipamperon und Quetiapin sowie ältere H1-Antihistaminika und urologische Spasmolytika. Einige Arzneimittel hemmen außerdem das Durstgefühl, wodurch dem Körper zu wenig Wasser zur Verfügung steht. Was genau im Körper passiert, ist unbekannt und die Wirkstoffe gehören zu verschiedenen Arzneimittelgruppen. Beispiele sind ACE-Hemmer und Sartane, vor allem, wenn sie in hohen Dosen eingenommen werden, einige Neuroleptika wie Risperidon, Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI (z. B. Citalopram) und Parkinsonmittel.

47.690 Tote durch Hitze

Das Jahr 2023 war das bis jetzt wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Kürzlich wurde eine Studie dazu in der Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlicht. Die Autoren der Studie schätzen, dass 2023 in Europa 47.690 Menschen durch die Hitze bedingt starben.

Stärkere Wirkungen und Nebenwirkungen

Die hitzebedingte Umverteilung des Blutes ist einer der Gründe, warum viele Arzneimittel bei Hitze stärker wirken und mehr Nebenwirkungen auftreten können. Wird die Haut zur Aufrechterhaltung der Körperkerntemperatur stärker durchblutet, ist die Resorption von transdermalen therapeutischen Systemen (TTS) erhöht. Dadurch kann die Wirkung von opioidhaltigen Schmerzpflastern wie Fentanyl (z. B. in Durogesic) oder Buprenorphin (z. B. in Norspan) oder Parkinsonmitteln wie Rotigotin (z. B. in Neupro) verstärkt sein. Anzeichen für eine Überdosierung von Opioiden sind zum Beispiel Atemdepression oder Verwirrtheit. Rotigotin kann Schläfrigkeit und Schwindel hervorrufen. Zu einer verringerten Wirkung kommt es,wenn sich das Pflaster durch das verstärkte Schwitzen schneller und möglicherweise unbemerkt ablöst.

Die erhöhte Durchblutung der Haut bewirkt auch, dass subcutan appliziertes Insulin stärker wirkt. Daher sollten insulinpflichtige Diabetiker ihren Blutzucker bei Hitze häufiger kontrollieren, denn die verstärkte Insulinwirkung erhöht das Risiko für Hypoglykämien.

Damit ausreichend Blut für die Kühlung vorhanden ist, reduziert der Körper die Durchblutung der inneren Organe um etwa ein Drittel. Eine schlechtere Durchblutung von Leber und Nieren bedeutet, dass Arzneimittel schlechter metabolisiert werden und daher stärker und länger wirken. Da der First-Pass-Effekt in der Leber durch die verringerte Durchblutung vermindert ist, können die Wirkspiegel um bis zu zwei Drittel höher sein. Ebenso wirken Arzneimittel, die renal ausgeschieden werden, deutlich stärker. Normalerweise gut verträgliche nichtsteroidale Analgetika wie Ibuprofen können aufgrund der höheren Blutspiegel zu Blutdruckkrisen und Nierenversagen führen.

Auch die Einnahme von Arzneimitteln mit sedierender Wirkung wie Benzodiazepinen, Z-Substanzen oder H1-Antihistaminika kann bei Hitze gefährlich sein. Diese können die Wahrnehmung so stark beeinträchtigen, dass Signale wie starker Durst oder eine Hitzeerschöpfung nicht ausreichend stark empfunden werden.

Ein Auge auf gefährdete Personen haben

Ältere Menschen mit Vorerkrankungen sollte man auf die Gefahren durch die Hitze hinweisen. Auch Angehörige oder Pflegepersonal sollten entsprechend geschult sein, denn vielen ist nicht bekannt, dass die vom Patienten schon seit Langem eingenommenen Arzneimittel bei hohen Temperaturen anders wirken und zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen können. Wer mehrere Medikamente einnehmen muss, sollte mit dem Arzt besprechen, ob die Therapie an heißen Tagen angepasst werden kann, zum Beispiel durch eine Dosisreduktion oder das vorübergehende Pausieren. Bei kardiovaskulären Erkrankungen sollte der Blutdruck regelmäßig überwacht werden, ebenso sollten Diabetiker häufiger ihren Blutzucker messen. Bei Hitze muss die Trinkmenge erhöht werden, was vor allem älteren Menschen mit einem verringerten Durstgefühl schwerfällt. Das gilt übrigens nicht für Menschen mit einer Herz- oder Niereninsuffizienz – sie sollten die erlaubte Trinkmenge mit ihrem Arzt besprechen. Um einer Exsikkose vorzubeugen, kann es sinnvoll sein, wenn Angehörige oder das Pflegepersonal überwachen, wie viel getrunken wird. Auch das Gewicht sollte überwacht werden: Nehmen Patienten plötzlich zu, kann das ein Hinweis für eine verringerte Urinausscheidung und ein drohendes Nierenversagen sein. Die Ernährung sollte während heißer Tage leicht verträglich sein und ausreichend Salz enthalten, um die Elektrolytverluste durch das Schwitzen auszugleichen.

Wie erkläre ich es meinen Kunden?

  • „Sie fühlen sich heute schlapp und müde? Haben Sie ausreichend getrunken?“
  • „Bei dieser Hitze wirken Ihre Blutdrucksenker vielleicht stärker als normalerweise. Messen Sie Ihren Blutdruck regelmäßig und fragen Sie Ihren Arzt, ob Sie die Dosis etwas reduzieren können.“

Dunkle Wohnräume und Warnsysteme

Zur Kühlung kann man zum Beispiel Teilbäder an den Armen und Beinen oder Thermalwasser empfehlen. Wohnräume sollte man bei großer Hitze abdunkeln. Man sollte bevorzugt nachts oder früh am Morgen lüften, während die Fenster tagsüber geschlossen bleiben.

Für die Zukunft arbeiten viele Städte an Hitzeaktionsplänen. Bestandteile dieser Pläne sind unter anderem der Aufbau eines Warnsystems zur Information und zum Schutz der Bevölkerung sowie bauliche Maßnahmen, um Hitzein Innenräumen und auf Straßen und Plätzen vorzubeugen. •

Ulrike Freese

Apothekerin, Fachjournalistin

Lüneburg

autor@ptaheute.de