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mehr wissen: Ernährung: Hochverarbeitete Lebensmittel

Der Anteil hochverarbeiteter Lebensmittel (HVL) nimmt innerhalb der Lebensmittelversorgung einen immer höheren Stellenwert ein. Das Verhalten bezüglich Lebensmitteleinkauf, Kochen und Essen hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Während die einen versuchen, ganz bewusst vermehrt unverpackte und natürliche Lebensmittel in ihren Einkaufswagen zu legen und daraus frische Speisen zuzubereiten, greifen andere oft aus Zeitgründen zu HVL. Studien kamen zu dem Ergebnis, dass in den USA, Kanada, Großbritannien und Deutschland HVL ungefähr zur Hälfte zur Gesamtenergiezufuhr beitragen. Ein Zusammenhang mit der Prävalenz von ernährungsmitbedingten chronischen Erkrankungen wie Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes wird daher diskutiert.

Die Einteilung nach NOVA

Es gibt bisher keine einheitliche Definition für unterschiedlich verarbeitete Lebensmittel. Eine brasilianische Arbeitsgruppe um Carlos Augusto Monteiro et al. hat 2009 bis 2017 ein Klassifizierungssystem – genannt NOVA – entwickelt, das Lebensmittel in vier Stufen einteilt:

1. unverarbeitete oder natürliche bis minimal

verarbeitete Lebensmittel

2. verarbeitete kulinarische Zutaten

3. verarbeitete Lebensmittel

4. hochverarbeitete Lebensmittel (HVL).

Den Lebensmitteln der Stufe 1 werden normalerweise nicht essbare Teile entfernt und sie werden konserviert – z. B. durch Trocknen, Kochen, Kühlen, Tiefgefrieren, Pasteurisieren, Vakuumieren –, um lagerfähig und sicher genießbar zu sein. Beispiele hierfür sind Mineralwasser, Tee, Kaffee, Getreide, Getreideflocken, frisches oder tiefgekühltes Gemüse und Obst, Hülsenfrüchte, Eier, Fisch, Naturjoghurt und pasteurisierte Milch. Diese Lebensmittel sollten die Grundlage einer gesunden und ausgewogenen Ernährung darstellen.

Die Lebensmittel der zweiten Stufe werden durch Raffinieren, Zerkleinern, Pressen oder Zentrifugieren gewonnen. Typischerweise sind das Zutaten wie Mehl, Zucker, Honig, Salz, Essig, Öle und Butter. Sie werden in der Regel zum Kochen und Würzen eingesetzt, um Speisen mit den Lebensmitteln der Stufe 1 zuzubereiten.

Die verarbeiteten Lebensmittel der Stufe 3 haben durch ihre Herstellung eine längere Haltbarkeit sowie verbesserte sensorische Eigenschaften erhalten. Zu ihnen gehören beispielsweise Konserven von Hülsenfrüchten, Gemüse und Obst, außerdem frisch gebackenes Brot, Nudeln, Schinken und Käse. Erreicht wird dies durch Zusätze von Zucker, Salz oder Öl oder Fermentation mit Zusätzen, Backen, Räuchern sowie Pökeln. DieLebensmittel bestehen daher meistens aus drei bis vier Zutaten. Sie sollten nur in begrenzten Mengen verzehrt werden.

Das Wichtigste in Kürze

  • Es gibt bisher keine einheitliche Definition für unterschiedlich verarbeitete Lebensmittel. Eine Idee ist das Klassifizierungssystem NOVA, das aus vier Stufen besteht.
  • Die meisten hochverarbeiteten Lebensmittel haben eine hohe Energiedichte, einen hohen Fett-, Zucker- und Salzgehalt, viele Zusatzstoffe sowie einen niedrigen Ballaststoff-, Vitamin- und Mineralstoffgehalt.
  • Aufgrund der Zusammensetzung und der vielfach geringen Sättigung ist ein möglicher Zusammenhang mit der Prävalenz von ernährungsmitbedingten chronischen Erkrankungen zu erklären.

Was ist ein hochverarbeitetes Lebensmittel?

HVL der vierten Stufe durchlaufen mehrere Verarbeitungsschritte und enthalten viele Zutaten – oft solche, die nur industriell eingesetzt werden, wie Glucose-Fructose-Sirup, Proteinisolate, hydrierte Öle und Lebensmittelzusatzstoffe. Die Herstellung ist wegen der günstigeren Zutaten oft sehr profitabel. Für den Verbraucher sind HVL sehr bequem, da sie lange haltbar, leicht zugänglich, schmackhaft und einfach zu verzehren sind. Dazu gehören beispielsweise Cerealien, abgepackte Backwaren, frittierte, salzige oder süße Snacks, Wurst, Fertiggerichte, Instantsuppen, Fertigdressings, Süßigkeiten, Erfrischungsgetränke, Limonade, pflanzliche Alternativen für Milch, Fisch und Fleisch sowie weitere Produkte mit Zusatzstoffen, Aromen und Extrakten. Aber auch gluten- und weizenfreie Lebensmittel – für an Zöliakie oder Unverträglichkeiten erkrankte Patienten – wie Backwaren, die zur Herstellung auf viele Zutaten und Zusatzstoffe wie Verdickungsmittel angewiesen sind, zählen zu dieser Stufe.

Was ist der Nutriscore?

Der Nutriscore gibt auf einer Skala von A (höchste) bis E (niedrigste) an, wie gut die Nährwertqualität eines Lebensmittels ist. Hersteller können ihn freiwillig auf ihren Produkten anbringen. Das soll den Vergleich innerhalb einer Produktgruppe erleichtern und so eine gesunde Ernährung fördern. In Deutschland, Frankreich, den Benelux-Staaten, der Schweiz und Spanien haben sich die Regierungen für eine Nutzung ausgesprochen.

Fehlende Evidenz trotz guter Studien

Bisherige Studien zu HVL sind schwer miteinander zu vergleichen, da die unterschiedlichen Verarbeitungsgrade der Lebensmittel bisher nicht klar definiert wurden. Kritiker der NOVA-Skala bemängeln auch, dass die vierte Stufe mit den HVL eine zu weit gefasste Gruppe darstellt und die Einteilung nicht genügend Faktoren berücksichtigt. Weiterhin ist nicht klar, ob erhöhte Krankheitsrisiken in erster Linie mit der ernährungsphysiologischen Qualität oder dem Verarbeitungsgrad der konsumierten Lebensmittel zusammenhängen. Daher können aktuell keine evidenzbasierten Aussagen über die Auswirkungen auf die Gesundheit getroffen werden. Metaanalysen haben aber schon gezeigt, dass sich bei zuckergesüßten Getränken und verarbeitetem Fleisch – beides HVL – mit steigendem Konsum das Risiko für chronisch mitbedingte Erkrankungen erhöht.

Wie wirken hochverarbeiteteLebensmittel auf den Körper?

Insbesondere Fertigprodukte enthalten zur Geschmacksverbesserung mehr Fett, gesättigte Fettsäuren und Zucker als vergleichbare frisch zubereitete Speisen und tragen somit zu einer höheren, unnötigen Energiezufuhr und Übergewicht bei. Inzwischen gibt es aber einige Hersteller, die bei ihren Produkten die Energiedichte reduzieren. Aber um das zu erkennen, muss der Verbraucher die Nährwerte in der Nährwerttabelle bei verpackten Lebensmitteln derselben Produktgruppe miteinander vergleichen.

Um Lebensmittel länger haltbar und schmackhafter zu machen, ist Salz eine weitere beliebte Zutat. Zu viel Salz kann aber den Blutdruck erhöhen und Nieren, Nervensystem, Blutgefäße und Herz nachhaltig schädigen, wenn es täglich konsumiert wird – vor allem bei salzsensitiven Personen. Auch Einflüsse auf Körpergewicht – durch Appetitsteigerung –, Immunsystem, Mikrobiom, Wundheilung und Knochenabbauprozesse sind bei einem dauerhaft zu hohen Salzkonsum über 6 g pro Tag bekannt.

Ein negativer Effekt von HVL ist auch, dass sie den Sättigungseffekt reduzieren. Denn im Gegensatz zu unverarbeiteten Lebensmitteln enthalten sie oft weniger Ballaststoffe, die außerdem für Verdauung, Stoffwechsel und Mikrobiom wichtig sind. So liefert zum Beispiel der Verzehr einer frischen Orange viele Ballaststoffe, während ein Orangensaft nur sehr wenige und eine Orangenlimonade gar keine Ballaststoffe mehr liefert. Der Brennwert aller drei Lebensmittel bleibt zwar vergleichbar – eine Orange mit 100 g liefert 42 kcal, 100 ml Orangensaft 46 kcal beziehungsweise 100 ml Limonade 50 kcal –, allerdings wird man von einer verzehrten Orange besser satt als von 100 ml Getränk. Durch den geringeren Sättigungseffekt und die Appetitsteigerung ist die Gefahr groß, dass mehr verzehrt wird, als der Körper eigentlich braucht. Gerade auch, weil viele HVL nebenbei als Snacks und nicht nur zur Hauptmahlzeit konsumiert werden.

Wie erkläre ich es meinen Kunden?

  • „Eine Orange hat etwa den gleichen Energiegehalt wie 100 ml Orangenlimonade. Da Sie aber bei der Limonade nicht kauen müssen und keine Ballaststoffe mehr enthalten sind, führt das Getränk nicht zur Sättigung und Sie verzehren zu viel davon.“
  • „Ich empfehle Ihnen eine pflanzenbasierte Ernährung mit möglichst vielen natürlichen und sättigenden Lebensmitteln und so wenig hochverarbeiteten Lebensmitteln wie möglich.“
  • „Schauen Sie sich beim Einkaufen das Etikett mit den Nährwertangaben und der Zutatenliste genau an, das hilft Ihnen bei der Auswahl der gesündesten Lebensmittel.“

Gesunde Zusatzstoffe?

Je mehr Verarbeitungsschritte ein Lebensmittel durchläuft, umso geringer wird der Gehalt an empfindlichen Vitaminen wie Vitamin C, sekundären Pflanzenstoffen sowie Mineralstoffen. Zum Ausgleich werden einigen Produkten die fehlenden Vitamine und Mineralstoffe wieder künstlich zugesetzt.

HVL enthalten außerdem Zusatzstoffe wie Konservierungsstoffe, Farbstoffe und Süßungsmittel. Die über 300 Lebensmittelzusatzstoffe sind in ihrer Zulassung und Verwendung durch die Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 geregelt. Es gibt jedoch einige Zusatzstoffe, die zu individuellen Unverträglichkeiten führen können.

Geschmacksverstärkende Zusatzstoffe können sich nachteilig auf die Geschmackspräferenzen und somit die Entwicklung und die Akzeptanz eines natürlichen Geschmacks auswirken. Künstliche Süßstoffe können eine negative Wirkung auf das Mikrobiom ausüben und stehen imVerdacht, so einen Diabetes mellitus Typ 2 zu fördern.

Aufgrund der höheren Energiedichte, deshöheren Fett-, Zucker- und Salzgehalts, dergeringeren Sättigung aufgrund des niedrigen Ballaststoffgehalts, der Appetitsteigerung durch bestimmte Zutaten und des damit verbundenen höheren Konsums von HVL ist ein möglicher Zusammenhang mit der Prävalenz von ernährungsmitbedingten chronischen Erkrankungen zu erklären. Sicher ist: Je höher der tägliche Konsum an bestimmten HVL ist, umso schlechter ist insgesamt die Ernährungsqualität. Nicht dazugezählt werden sollten glutenfreie Produkte wie Backwaren, auf die Patienten mit einer Zöliakie angewiesen sind.

Ein genereller Verzicht auf HVL ist nicht notwendig, doch eine Einschränkung aus gesundheitlichen, geschmacklichen, preislichen und nachhaltigen Gründen ist sinnvoll. Die Ernährung sollte langfristig ausbalanciert sein und das Wohlbefinden stärken. Dies würde durch eine pflanzenbasierte Ernährung mit möglichst vielen natürlichen und sättigenden Lebensmitteln und so wenig hochverarbeiteten Lebensmitteln wie möglich am besten umgesetzt.•

Dr. oec. troph. Silke Bauer

Fachjournalistin,

Ernährungswissenschaftliche Beratung und Schulung

Gengenbach

autor@ptaheute.de