Datenanalyse zu SARS-CoV-2-Überträgern : Ansteckend – aber ab wann und wie lang?
Der Verlauf der Viruslast und die Dauer der Ausscheidung sind wichtige Faktoren für die Übertragung des neuartigen Corona-Virus. Eine Forschergruppe von verschiedenen Standorten in Schottland unter der Leitung der renommierten University of St. Andrews wollte wissen, wie das neuartige Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) sich diesbezüglich im Vergleich mit dem ersten SARS-Corona-Virus (SARS-CoV) und dem Middle East Respiratory Syndrom Coronavirus (MERS-CoV) verhält. Hierzu hat das Team sämtliche relevanten Studienergebnisse gesichtet, die zwischen dem 1. Januar 2003 und dem 6. Juni 2020 veröffentlicht wurden. Für ihre systematische Überprüfung und Metaanalyse wurden 79 Studien (5.340 Personen) zu SARS-CoV-2, acht (1.858 Personen) zu SARS-CoV und elf (799 Personen) zu MERS-CoV berücksichtigt. Die Ergebnisse sind jetzt in dem Journal Lancet Microbe erschienen.
Viruslast, Ausscheidung und Infektiosität
Die Wissenschaftler beleuchteten die drei Schlüsselfaktoren bei der Kontrolle der Virus-Ausbreitung:
- die Kinetik der Viruslast im Körper,
- die Ausscheidung viraler RNA, das heißt die Zeitspanne, in der jemand genetisches Material ausscheidet und
- die Isolierung des lebenden Virus als Indikator für die Infektiosität.
„Dies ist die erste systematische Überprüfung und Metaanalyse, die die Viruslast und -ausscheidung für diese drei Coronaviren umfassend untersucht und verglichen hat“, hebt der Hauptautor der Studie Muge Cevik von der School of Medicine an der University of St. Andrews hervor. „Sie liefert eine klare Erklärung dafür, warum sich SARS-CoV-2 effizienter verbreitet als SARS-CoV-1 und MERS-CoV und warum es so viel schwieriger einzudämmen ist.“
Wie lange ist der Abstrich positiv?
Nach den vorhandenen Daten war die RNA von SARS-CoV-2 in den oberen Atemwegen 17 Tage (95 % CI 15,5–18,6) lang nachweisbar und in den unteren Atemwegen 14,6 Tage (9,3–20,0). Im Stuhl und in Serumproben wurde sie über 17,2 Tage (14,4–20,1) bzw. (3,6–29,7) gefunden.
Die maximale Ausscheidungsdauer in den oberen Atemwegen lag bei 83 und in den unteren Atemwegen bei 59 Tagen. Im Stuhl wurde sie längsten Falls nach 126 Tagen noch detektiert und im Serum nach 60 Tagen. Je älter die Betroffenen waren und je schwerer die Erkrankung, umso länger war das genetische Material von SARS-CoV-2 nachweisbar.
In den ersten fünf Tagen hoch ansteckend
Das Virus selbst ist jedoch offenbar nur relativ kurz lebensfähig. Während die Viruslast in den oberen Atemwegen bei SARS-CoV an den Tagen 10 bis 14 und bei MERS-CoV an den Tagen 7 bis 10 am höchsten ist, erreicht SARS-CoV-2 den Höhepunkt schon in der ersten Woche. Die Wissenschaftler leiten daraus den Schluss ab, dass Infizierte in dieser Zeit, besonders in den ersten fünf Tagen nach Auftreten der Symptome, wahrscheinlich hochinfektiös sind. Auch Kontaktverfolgungsstudien sollen darauf hinweisen, dass die meisten Ansteckungen sehr früh stattfinden. SARS-CoV und MERS-CoV erreichen den Gipfel der Ausscheidung über die Atemwege dagegen erst, wenn die Infizierten meist schon schwer krank sind. Asymptomatische oder präsymptomatische Personen (vor Symptombeginn) sind deshalb bei weitem nicht so ansteckend wie bei SARS-CoV-2.
Keine PCR-Nachtestung nötig?
Die mittlere Dauer der Virusausscheidung ist bei SARS-CoV-2 demgegenüber kürzer als bei den anderen Coronaviren. Keine Studie fand über Tag neun der Krankheit hinaus noch vermehrungsfähige, das heißt ansteckende Viren, trotz hoher Viruslasten in Testungen. Diese erfassen allerdings das genetische Material von SARS-CoV-2, das auch von nicht mehr replikationsfähigen Viren stammen kann. „Diese Ergebnisse legen nahe, dass in der klinischen Praxis möglicherweise keine wiederholten PCR-Tests erforderlich sind, um sich zu vergewissern, dass ein Patient nicht mehr infektiös ist“, erklärt Cevik, „denn der Test könnte noch länger positiv sein, ohne dass eine Ansteckungsgefahr gegeben ist.“ Bei Patienten mit nicht schweren Symptomen könne stattdessen davon ausgegangen werden, dass sie nur zehn Tage nach Auftreten der Symptome infektiös sind, so sein Vorschlag.
Rechtzeitige Isolierung ist das A und O
Für umso wichtiger halten es die Forscher, Personen mit Krankheitssymptomen sofort zu identifizieren und zu isolieren. Sie empfehlen außerdem eindringlich, die Öffentlichkeit für die Bandbreite der mit der Krankheit verbundenen Ausprägungen, einschließlich milder Symptome in der Frühphase und stärkerer, wie Husten oder Fieber, zu sensibilisieren, damit Infizierte sich frühzeitig und umgehend in Quarantäne begeben können. Auch hier liegt ihrer Meinung nach noch Einiges im Argen, denn viele Menschen könnten sich aufgrund ihrer häuslichen Situation während des ansteckendsten Zeitraums gar nicht ausreichend selbst isolieren. Hier müssten die Regierungen Abhilfe schaffen, fordern sie, etwa indem sie für die Betroffenen gegebenenfalls einen alternativen Wohnraum zur Absonderung von der Familie bereitstellen.