COVID-19-Impfung
Corona-Pandemie
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PTAheute klärt auf: Mythen und Fakten aus dem Netz : Werden für Corona-Impfstoffe humane Embryos abgetrieben? 

Glasspitze zeigt auf Petrischale mit Zellen
Mythen und Verschwörungstheorien zu Corona-Impfstoffen gibt es viele. Darunter auch die Behauptung, dass für die Herstellung von Corona-Vakzinen menschliche Embryos abgetrieben werden. | Bild: IMAGO / Westend61

Über Pro und Contra von Impfstoffen wird mal mehr und mal weniger diskutiert – selten jedoch so im Fokus der Öffentlichkeit wie während der Corona-Pandemie. In der Europäischen Union (EU) sind derzeit vier COVID-19-Impfstoffe zugelassen: Die beiden mRNA-Vakzine Comirnaty® (Biontech / Pfizer) und Spikevax® (Moderna) sowie die beiden Vektor-Impfstoffe Vaxzevria® (AstraZeneca) und COVID-19-Vaccine Janssen® (Janssen-Cilag International / Johnson & Johnson).

Wie funktionieren die Corona-Impfstoffe?

Alle derzeit zugelassenen COVID-19-Vakzine regen das körpereigene Immunsystem zur Bildung von Antikörpern gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 an, indem Informationen (Baupläne des Virus) zu bestimmten Eiweißbestandteilen (sogenannten Spike-Proteinen) in die Zellen des Geimpften eingeschleust werden. Diese Bestandteile (Antigene) werden dann von der Immunabwehr als fremd erkannt, sodass der Körper die Produktion passender Antikörper und T-Zellen gegen das Spike-Protein beginnen kann. Findet dann zu einem späteren Zeitpunkt eine „echte“ Konfrontation mit SARS-CoV-2 statt, können diese gebildeten Antikörper und T-Zellen eine weitere Vermehrung des Coronavirus unterbinden. 

Wie unterscheiden sich die Corona-Impfstoffe?

Die vier in der EU zugelassenen Vakzinen unterscheiden sich in der Art und Weise, in der sie die Informationen zu den Spike-Proteinen in die menschlichen Zellen transportieren. Die Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson brauchen ein sogenanntes Träger-Virus (Transporter) als Grundlage, um die Virus-Baupläne in den menschlichen Körper zu schleusen. Als Träger-Virus (Vektor-Virus) wird ein unschädlich gemachtes Erkältungsvirus (Adenovirus) verwendet. Bei Johnson & Johnson handelt es sich um ein verändertes menschliches Erkältungsvirus (Adenovirus 26), bei der Corona-Vakzine von AstraZeneca handelt es sich um ein Adenovirus, das bei Schimpansen Atemwegsinfekte hervorrufen kann, für den Menschen aber ungefährlich ist (Adenovirus ChAdOx1). Diese genetisch veränderten Vektor-Viren sind nicht im menschlichen Körper vermehrungsfähig. Sie enthalten aber ein Gen, also Erbgut, für die Herstellung der Spike-Proteine. Die Adenoviren, die als Vektoren verwendet werden, werden vom menschlichen Immunsystem nach kurzer Zeit abgebaut. Vektor-Impfstoffe sind nicht neu. Sie kommen auch bei anderen Impfungen (zum Beispiel bei Ebola) zum Einsatz. 

Die Präparate Comirnaty® und Spikevax® sind sogenannte mRNA-Impfstoffe. Das „m“ steht für messenger (Bote), „RNA“ für Ribonukleinsäure. mRNA-Impfstoffe benötigen kein Träger-Virus. Hier ist die mRNA die Bauanleitung für einen Bestandteil von SARS-CoV-2. Bei den mRNA-Impfstoffen werden kleine Fettteilchen (Liposomen) als „Transportmittel“ zum Einschleusen der mRNA in die Zellen verwendet. Diese stellen dann ebenfalls das Viruseiweiß her, gegen das der Körper seine Immunantwort entwickelt. 

Was benötigt man, um einen Impfstoff herzustellen?

Im Fall der Vektor-Impfstoffe müssen die Transport-Viren (Vektor-Viren) für die Erbinformation des schützenden Erregerbestandteils bei COVID-19-Impfstoffen, das CoV-2-Spikeprotein, zunächst vermehrt werden. Da Viren immer eine lebende Zelle benötigen, um sich zu vermehren, ist dafür eine tierische oder menschliche Zellkultur (eine sogenannte Zelllinie) erforderlich. Je nach Vektortyp haben sich dafür verschiedene Zelltypen oder Zelllinien als besonders geeignet erwiesen. Auch bei der Herstellung von anderen Virus-Impfstoffen muss eine Vermehrung auf Zellen vorgenommen werden. Bei Influenza-Impfstoffen sind dies z. B. bisher primär embryonierte Hühnereier, Masernviren und Mumpsviren werden auf Hühnerfibroblasten vermehrt, Rötelnviren und Windpockenviren auf einer Zelllinie aus humanen diploiden Zellen (MRC-5). 

Zur Erinnerung: Was ist MRC-5?

MRC-5 ist eine diploide, menschliche Zellkulturlinie. Sie besteht aus fibroblastischen Zellen, die ursprünglich aus der Lunge eines 14 Wochen alten, männlichen Fötus stammen. Dieser wurde im September 1966 wegen psychischer Probleme von einer 27-jährigen, sonst körperlich gesunden Mutter in England abgetrieben. Die Abtreibung fand nicht zu wissenschaftlichen Zwecken statt, um Zellen zu gewinnen, sondern aufgrund der psychischen Erkrankung der Mutter.

Was bedeutet „Zelllinie“?

Der Begriff „Zelllinie“ bedeutet, dass diese Linie einmalig angelegt wurde und seitdem kontinuierlich vermehrt und eingefroren wird. Die Zellen werden in Kultur gehalten. Es werden nicht, wie häufig zu lesen, immer wieder neue Embryos benötigt. Im Fall der Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca (Vaxzevria®) und Johnson & Johnson (COVID- 19-Vaccine Janssen®) werden zwei Zelllinien verwendet, die bisher in Impfstoffen, die in Deutschland zugelassen sind, noch nicht verwendet wurden. Für diese gilt aber genau das Gleiche wie für die bekannte MRC- 5-Linie: Die Zelllinien wurden einmalig angelegt und werden seitdem kontinuierlich vermehrt.  

Welche Zelllinien wurden vor der Pandemie eingesetzt?

Für die Impfstoffproduktion der in Deutschland zugelassenen Impfstoffe wurden bis zur Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe zwei Zelllinien aus menschlichem Lungengewebe genutzt. Der Wissenschaftler L. Hayflick entwickelte 1961 die Zelllinie WI-38, der Wissenschaftler J. P. Jacobs entwickelte 1966 die Zelllinie MRC-5 (Medical Research Council). Diese Zelllinien werden, wie erwähnt, als humane diploide Zellen (HDC) bezeichnet. Sie sind notwendig, um Impfviren (Röteln, Windpocken) oder – im Fall der Vektor-Impfstoffe die Vektor-Viren – für den Transport der Erbinformation in die Zelle zu vermehren. 

Welche Zelllinien werden für COVID-19-Impfstoffe eingesetzt?

Mit der Entwicklung und Zulassung von Vektor-Impfstoffen, mit denen die durch das SARS-CoV-2-Virus verursachte Infektionskrankheit COVID-19 verhindert werden soll, sind zwei weitere Zelllinien hinzugekommen. Im Fall von Vaxzevria® erfolgt die Vermehrung dieser Viren auf der Zelllinie 293 HEK (Human Embryonic Kidney), im Fall des Impfstoffs von Johnson & Johnson auf der Zelllinie PER.C6 (aus humanen fötalen Retinazellen). Die Zelllinie 293 HEK wurde 1973 von Frank. L. Graham, Doktorand bei Alex J. van der Eb et al., etabliert. Die Zelllinie PER-C6 wurde im Jahr 1998 von Frits J. Fallaux, ebenfalls im Labor von van der Eb, durch eine Immortalisierung von embryonalen Retinazellen erzeugt. Diese stammten von einem 1985 abgetriebenen Fötus. Auch hier gilt – die Embryos wurden und werden nicht abgetrieben, um als Grundlage für die Herstellung der Zelllinie zu dienen. Und die entstandene Zelllinie wird seit damals kontinuierlich vermehrt. 

Werden humane Embryos zu wissenschaftlichen Zwecken abgetrieben?

In keinem Fall wurde oder wird ein Fötus abgetrieben, um als Ausgangs-material für die Etablierung einer Zellkultur zu dienen, bestätigen Prof. Dr. Klaus Cichutek,  
Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, und Prof. Dr. Katja Schenke- Layland, Direktorin des NMI (Naturwissen- schaftlich-Medizinisches Institut) in Reutlingen und Professorin für Medizintechnik und regenerative Medizin an der medizinischen Fakultät der Universität Tübingen gegenüber PTAheute. „Die wurden vor 20, 30, 40 Jahren sogar hergestellt von damaligen entweder Abtreibungen oder auch von Stammzellen, die von befruchteten Eizellen gewonnen wurden.“, so Prof. Dr. Katja Schenke-Layland in der neuesten Folge des PTAheute-Podcast zu diesem Thema. 

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Werden alle Impfstoffe mithilfe humaner Zelllinien hergestellt? 

Generell ist der Einsatz von humanen oder tierischen Zelllinien nur dann erforderlich, wenn es sich um einen Virus-Impfstoff handelt oder bei der Produktion des Impfstoffs Viren zum Einsatz kommen (beispielsweise in Vektor-Impfstoffen).  
Wann menschliche und wann tierische Zelllinien zum Einsatz kommen, hängt von den Virus- bzw. Vektoreigenschaften ab und wird jeweils bei der Etablierung der Herstellungsmethode getestet.

Wo kann man sich informieren, welche Zelllinien zur Herstellung eines bestimmten Impfstoffs verwendet wurden? 

Solche Angaben sind Bestandteil der Fach- und Gebrauchsinformation bzw. bei EU-Zulassung Bestandteil der Produktinformation und finden sich dort direkt unter Punkt 2: Qualitative und Quantitative Zusammensetzung. Das Paul-Ehrlich-Institut bietet Links zu diesen Dokumenten in der Liste zugelassener Impfstoffe an. 

Welche Corona-Impfstoffe setzen humane Zelllinien ein? 

Bei den aktuell zugelassenen COVID-19-Impfstoffen werden bei der Herstellung der Vektorimpfstoffe Vaxzevria® (AstraZeneca) und COVID-19 Vaccine Janssen® (Johnson & Johnson) humane Zelllinien eingesetzt. Bei den COVID-19-Impfstoffen bietet das Paul-Ehrlich-Institut zusätzlich zum EPAR unter www.pei.de/covid-19-impfstoffe direkte Links zur deutschen und englischen Fassung der Produktinformation an. 

Warum werden nicht Zellen freiwilliger erwachsener Menschen verwendet?  

Embryonale Zellen bieten die Eigenschaft, in der Zellkultur im Labor ohne weitere Modifizierung unendlich vermehrt werden zu können, womit eine sogenannte immortalisierte Zelllinie etabliert wird. Diese Eigenschaft geht mit der Ausdifferenzierung der Zellen bis zum Erwachsenenstadium zunehmend verloren, weshalb Zelllinien von Erwachsenen schwerer und oft erst nach Modifizierung etabliert werden können. Unabhängig davon wäre aber die erforderliche Kontinuität und die erforderliche Qualitätssicherung der Herstellung schwierig, wenn für jede Impfstoffproduktion mit „neuen“ Zellen gearbeitet werden müsste.

Sind in den Impfstoffen selbst Bestandteile humaner Embryos enthalten? 

Die Virusvermehrung erfolgt auf Zelllinien, die einmalig aus den Zellen eines abgetriebenen Fötus angelegt und seitdem kontinuierlich vermehrt werden. Im Verlauf der Herstellung erfolgen dann zahlreiche Aufreinigungsschritte. Impfstoffe enthalten also keine Bestandteile dieser Zellen mehr.

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