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Neue Leitlinie zu Schwangerschafts­hypertonie

schwangere Frau misst Blutdruck am Oberarm
Rund sieben Prozent aller Schwangerschaften gehen mit einem erhöhten Blutdruck einher. Frühzeitige und regelmäßige Kontrollen sind dabei essenziell. | Bild: Maksym / AdobeStock

Seit Juli 2024 gilt die neue S2k-Leitlinie „Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft (HES): Diagnostik und Therapie“. Die vorhergehende Leitlinie aus 2019 wurde komplett überarbeitet. Die aktualisierte Version enthält Änderungen, die das Bluthochdruckmanagement bei schwangeren Frauen optimieren sollen, um etwaige – teils lebensbedrohliche – Folgen und Risiken möglichst effektiv zu reduzieren.

Gut zu wissen: Klassifikation der Leitlinien

  • S1-Leitlinie: Handlungsempfehlungen auf der Basis eines informellen Konsenses von Expertengruppen
  • S2-Leitlinie:
    • S2k-Leitlinie (konsensbasiert): Empfehlungen auf der Basis eines strukturierten Konsenses durch ein repräsentatives Gremium
    • S2e-Leitlinie (evidenzbasiert): Empfehlungen auf der Basis systematischer Recherchen, Auswahl und Bewertung wissenschaftlicher Belege
  • S3-Leitlinie: Empfehlungen auf der Basis von Evidenz und strukturiertem Konsens: repräsentatives Gremium, strukturierte Konsensfindung, systematische Recherchen.

Die Qualität der Leitlinie steigt mit der Zahl (S1 < S2 < S3).

Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft: Was ist neu an der Leitlinie?

Die Neuerungen beinhalten insbesondere Empfehlungen zu frühzeitigen Screenings und Risikobewertungen für jede schwangere Frau, niedrigere Blutdruckgrenzwerte mit präziser medikamentöser Einstellung und überarbeitete Empfehlungen für den Entbindungszeitraum. 

Leidet eine Frau in der Schwangerschaft unter Bluthochdruck und/oder damit assoziierten Komplikationen, wie einer Präeklampsie, hat sie im weiteren Verlauf ihres Lebens ein erhöhtes Risiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Die aktuelle Leitlinie implementiert daher ein verstärktes Nachsorgemanagement inklusive eines Nachsorgepasses.

Schwangerschaftshypertonie und assoziierte Komplikationen

Laut der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) leiden 6–8 % aller Schwangeren an einer hypertensiven Erkrankung. In Industrienationen sind ein erhöhter Blutdruck in der Schwangerschaft und damit assoziierte Folgeerscheinungen die Todesursache Nummer eins bei werdenden Müttern.

Die Leitlinie schlüsselt alle hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft mit Diagnostik und Therapie auf. Aus einem chronisch erhöhten Blutdruck vor der Schwangerschaft oder einer Schwangerschaftshypertonie, auch Gestationshypertonie genannt, können sich folgende Komplikationen für Mutter und Baby ergeben:

  • Präeklampsie/Eklampsie mit Nierenversagen, Schlaganfall, Blutgerinnungsstörungen, Herzinsuffizienz
  • HELLP-Syndrom
  • weiterer Blutdruckanstieg
  • Minderperfusion der Plazenta mit Unterversorgung des Kindes (kleiner, als es sollte)
  • vorzeitige Plazentalösung
  • Früh- oder Totgeburt

Zur Erinnerung: Definitionen nach Leitlinie 

Schwangerschaftshypertonie/Gestationshypertonie: Im Verlauf der Schwangerschaft neu auftretende Blutdruckwerte systolisch ≥ 140 und/oder diastolisch ≥ 90 mmHg bei einer zuvor normotensiven Schwangeren ohne zusätzliche Kriterien einer Präeklampsie. Manifestation meist erst ab der 20. Schwangerschaftswoche (SSW), oft erst gegen Ende der Schwangerschaft.  

Präeklampsie: Eine chronische Hypertonie oder Gestationshypertonie mit zusätzlich mindestens einer in der Schwangerschaft (meist frühestens ab der 20. SSW) neu auftretenden Organmanifestation, welche keiner anderen Ursache zugeordnet werden kann. Zu den typisch betroffenen Organsystemen zählen insbesondere Plazenta, Niere, ZNS, Leber, blutbildendes System und Lunge.

Symptome können sein:

  • Verschlechterung einer bestehenden Hypertonie
  • Erhöhung der Proteinausscheidung (Proteinurie)
  • Oberbauchschmerzen
  • Ödeme im Gesicht, an Händen oder Füßen
  • Kopfschmerzen
  • Sehstörungen
  • starke Gewichtszunahme > 1 kg/Woche im dritten Trimester
  • erniedrigte Thrombozytenzahl
  • erhöhte Leberwerte
  • Verdacht auf FGR (fetale Wachstumsrestriktion)
  • erhöhte Widerstände der Gebärmutterarterie

Es wird nicht zwischen einer milden und schweren Präeklampsie unterschieden, da sich die klinische Dynamik und Ausprägung ändern kann, wohl aber zwischen einer frühen Präeklampsie (< 34. SSW) und einer spät auftretenden (> 34. SSW).

Eklampsie: Im Rahmen einer Schwangerschaft auftretende tonisch-klonische Krampfanfälle, die keiner anderen neurologischen Ursache (z. B. Epilepsie) zugeordnet werden können.

Die Eklampsie (Inzidenz circa 0,1 % aller Geburten) ist eine potenziell tödliche Komplikation. Die akute Gefahr besteht insbesondere in Hirnblutungen und Sauerstoffmangel. Zu den Frühsymptomen/Vorboten zählen Muskelzuckungen (Kloni), Tics, persistierende Kopfschmerzen und Reflexzonenverbreiterung. Achtung! Bis zu 25 % der Patientinnen mit Eklampsie weisen keine hypertonen Blutdruckwerte auf.

HELLP-Syndrom: Typische in der Schwangerschaft auftretende Laborkonstellation aus Hämolyse (Zerstörung der Erythrozyten), erhöhten Leberwerten und Thrombozytopenie (häufig assoziiert mit einer Präeklampsie).

Das HELLP-Syndrom (Inzidenz circa 0,1–0,5 % aller Geburten und etwa 10 bis 20 % aller Frauen mit Präeklampsie) ist eine schwere Komplikation mit hoher Morbidität und Mortalität. Die akute Gefahr besteht insbesondere in Leberruptur, Blutungen/Gerinnungsstörungen sowie Multiorganversagen. Die Klinik beim HELLP-Syndrom beginnt oft mit rechtsbetonten Oberbauchschmerzen.

Mögliche Symptome und deren Häufigkeiten:

  • rechtsseitiger Oberbauchschmerz: 40–90 %
  • Proteinurie: 86–100 %
  • Hypertonie: 82–88 %
  • Übelkeit/Erbrechen: 29–84 %
  • Kopfschmerzen: 33–61 %
  • Sehstörungen: 10–20 %
  • Gelbsucht: 5 %

Neue Blutdruckzielwerte für Schwangere laut neuer Leitlinie 

Bei Blutdruckwerten von ≥ 160/110 mmHg liegt ein stark erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie vor, was die gesundheitliche Lage von Mutter und Kind in der Regel drastisch verschlechtert. 

In der aktuellen Leitlinie werden die anzustrebenden Blutdruckgrenz- und -zielwerte daher enger gefasst. Dabei sollen sowohl Praxismessungen als auch Heimblutdruckmessungen (HBDM) bei Risikopatientinnen durchgeführt werden. 

Frauen mit wiederholten Blutdruckwerten von ≥ 140 mmHg systolisch und/oder ≥ 90 mmHg diastolisch sollen unbedingt medikamentös therapiert werden. Der Zielblutdruck ist dabei ≤ 135/85 mmHg und damit niedriger als in der vorhergehenden Version der Leitlinie. Der Blutdruck sollte mindestens bis zu diesem Wert gesenkt werden, allerdings unter dem Motto „start low, go slow“, um eine Minderperfusion der Plazenta durch zu schnelle Blutdrucksenkung zu verhindern.

Gut zu wissen: Medikamentöse Einstellung der Schwangerschaftshypertonie 

  • Mittel der Wahl: α-Methyldopa, Nifedipin und Metoprolol bzw. Labetalol
  • α-Methyldopa: Längste klinische Erfahrung, aber möglicher Zusammenhang mit der Entwicklung bzw. negativen Beeinflussung psychischer Erkrankungen.
  • Nifedipin: Ist in der Vermeidung von schweren Hypertonien α-Methyldopa überlegen. Es zeigt im Vergleich zu anderen Antihypertensiva (α-Methyldopa und Labetalol) eine höhere Effektivität, mit kürzerem Zeitintervall sowie geringerer Anzahl an benötigten Dosen, um den Zielblutdruck bei gleicher fetaler und maternaler Sicherheit zu erreichen. Aus diesem Grund ist der Off-Label-Use gerechtfertigt.
  • Labetalol/Metoprolol: Sind in der Vermeidung von schweren Hypertonien α-Methyldopa überlegen. Labetalol steht in Deutschland nicht zur Verfügung. Betablocker sind mit der Entwicklung einer SGA („small for gestational age“) assoziiert.

Bluthochdruck: Was passiert nach der Geburt? 

Die intensive Betreuung der Mutter mit HES auch über die Entbindung hinaus findet in der aktualisierten Leitlinie ebenfalls mehr Raum. Fest steht, Frauen, die in der Schwangerschaft unter einer hypertensiven Erkrankung litten, haben im Laufe ihres Lebens ein erhöhtes Risiko für Blutdruck- und Herzprobleme. 

Daher wird das postpartale Management intensiviert: Neben intensiver Überwachung nach der Geburt sowie stillfreundlicher, medikamentöser Einstellung des Blutdrucks und einem Abschluss- und Aufklärungsgespräch für die Mutter wird noch mehr Augenmerk auf die Langzeitbetreuung gelegt. 

Ein Vorschlag zur Nachsorge durch die niedergelassenen Gynäkologen ab sechs Wochen nach der Geburt und ein von den Experten entworfener Nachsorgepass finden sich nun im Tabellenverzeichnis bzw. im Anhang der Leitlinie. Quellen:
- https://register.awmf.org/assets/guidelines/015-018l_S2k_Hypertensive-Erkrankungen-Schwangerschaft-HES-Diagnostik-Therapie_2024-07.pdf
- https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/153008/Neue-Leitlinie-zu-Diagnostik-und-Therapie-von-Bluthochdruck-in-der-Schwangerschaft?rt=579bf652040de330a94377e866488cd2