Metformin in der Schwangerschaft – ja oder nein?
3 bis 7 Prozent der Schwangeren in Europa entwickeln einen Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes). Darüber hinaus liegt bei 1 Prozent der Schwangerschaften bei den Frauen schon vor der Schwangerschaft ein Typ-2-Diabetes vor.
Die Autoren der S2e-Leitlinie „Diabetes in der Schwangerschaft“3. Auflage von 2021, gültig bis 2026 raten schwangeren Frauen mit Diabetes zu diätetischen Maßnahmen und – wenn diese ungenügend sind – zu Insulin. Insulin sei eine „effektive und nebenwirkungsarme Möglichkeit“ und die „Therapie der Wahl“.
Bei Erstellung der Leitlinien waren hierzulande keine oralen Antidiabetika, wie Metformin, in der Schwangerschaft zugelassen. Das änderte die Europäische Kommission auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) im Jahr 2022. Seither dürfen Frauen Glucophage®, Glucophage XR® und Stagid® (Merck) während der gesamten Schwangerschaft – also vom Zeitpunkt der Empfängnis bis zur Geburt – anwenden.
Zur Erinnerung: Wie wirkt Metformin?
Das Biguanid Metformin verringert die Glucoseproduktion in der Leber. Außerdem wird die Insulinempfindlichkeit der Muskulatur verbessert und so die periphere Glucoseaufnahme und -verwertung gesteigert. Gleichzeitig wird die Aufnahme von Glucose aus dem Darm verzögert.
Das Hypoglykämierisiko ist aufgrund der nichtinsulinausschüttenden Wirkung auf Placeboniveau, zudem verursacht es keine Gewichtszunahme.
Metformin bei Gestationsdiabetes nicht zugelassen
Allerdings: Diese erweiterte Einsatzmöglichkeit für Metformin in der Schwangerschaft gilt lediglich für Frauen mit Typ-2-Diabetes, die vor der Schwangerschaft Metformin erhalten hatten und diese Therapie in der Schwangerschaft fortführen.
Merck liegt keine Zulassungserweiterung für die drei Metformin-haltigen Arzneimittel bei Gestationsdiabetes vor. Das erklärte das Darmstädter Pharmaunternehmen gegenüber der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) im Mai 2022:
„Die Indikationen für Glucophage® haben sich nicht geändert. Die Behandlung des reinen Gestationsdiabetes (...) liegt somit weiterhin außerhalb der behördlichen Zulassung. Die Weiterbehandlung eines Diabetes während der Schwangerschaft ist jedoch nun mit Glucophage® zulässig, falls medizinisch angezeigt. Im Rahmen eines europäischen Worksharing-Verfahrens (WSP) wurde eine Zulassungserweiterung für Metformin-Produkte zur Anwendung während der gesamten Schwangerschaft in der EU erteilt.“
Dieses WSP mündete nicht in einem öffentlich zugänglichen Dokument der EMA, sodass Merck eine solche Quelle leider nicht als Referenz zur Verfügung stellen könne, ergänzt das Unternehmen.
Metformin nur, wenn klinisch notwendig
Schaut man in die Fachinformation von zum Beispiel Mercks Glucophage®, findet man dies in den Anwendungsgebieten bestätigt – dort fehlt die Indikation „Schwangerschaftsdiabetes“. Im Abschnitt „Schwangerschaft“ steht sodann: „Wenn es klinisch notwendig ist, kann die Verwendung von Metformin während der Schwangerschaft und in der perikonzeptionellen Phase zusätzlich oder als Alternative zu Insulin in Betracht gezogen werden.“
Für die Fortführung einer Metforminbehandlung in der Schwangerschaft hatte Merck Daten vorgelegt. Diese zeigen, dass Metformin in der Schwangerschaft sicher und wirksam ist und sich kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen oder Fetotoxizität nachweisen ließ. Auch negative Spätfolgen, zum Beispiel bei der geistigen Entwicklung oder dem Körpergewicht, konnten sich nicht feststellen lassen. Die Kinder der mit Metformin behandelten Mütter waren über elf Jahre nachbeobachtet worden.
Immer wieder haben Wissenschaftler seither Daten zu Metformin in der Schwangerschaft veröffentlicht – manchmal unterstützen sie die Anwendung des Biguanids, manchmal veranlassen sie eher zur Vorsicht.
Beeinflusst Metformin die kindliche Hirnentwicklung?
So scheint Metformin, einer Studie an Mäusen zufolge, die kindliche Hirnentwicklung möglicherweise zu beeinflussen. Dies fanden Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke und der Berliner Charité herausMolecular Metabolism: „Developmental metformin exposure does not rescue physiological impairments derived from early exposure to altered maternal metabolic state in offspring mice“ . Inwieweit sich die Metformin-Effekte bei Mäusen auf Menschen übertragen lassen, ist jedoch unklar.
Dr. med. Wolfgang Paulus vom Universitätsklinikum Ulm, der dort die Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie leitet, ordnete diese Ergebnisse nach Veröffentlichung für die Deutsche Apotheker Zeitung (DAZ) ein. Man müsse diese Befunde aus dem Tierexperiment im Blick behalten. Gleichwohl konnten in einer anderen StudieArch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2016: „Neurodevelopmental outcome at 2 years in offspring of women randomised to metformin or insulin treatment for gestational diabetes“ bei Kindern von Müttern mit Schwangerschaftsdiabetes, die während der Schwangerschaft mit Metformin oder Insulin behandelt worden waren, keine Unterschiede in der neurologischen Entwicklung im Alter von zwei Jahren festgestellt werden.
Er gibt außerdem zu bedenkt, dass ein „schlecht eingestellter mütterlicher Blutzucker erhebliche Risiken für kindliche Entwicklungsstörungen, wie Fehlbildungen, Fehlgeburten, Wachstumsstörungen, Organunreife etc., mit sich bringt“.
Viele Schwangere, die nicht mit der Insulin-Injektion aus der Vergangenheit vertraut seien, akzeptierten eher die orale Applikation von Metformin. Dadurch ließen sich Glucosetoleranzstörungen besser angehen, als wenn die Behandlung ganz vernachlässigt werde.
Neue Studie: Vergleichbare Rate an Totgeburten unter Insulin mit und ohne Metformin
In einer StudieAnnals of Internal Medicine: „Metformin Use in the First Trimester of Pregnancy and Risk for Nonnative Birth and Congenital Malformations: Emulating a Target Trial Using Real-World Data“ mit über 12.000 Frauen mit Typ-2-Diabetes wurden 850 in der Schwangerschaft von Metformin auf Insulin umgestellt und 1.557 erhielten zusätzlich zu Metformin noch Insulin. Das Risiko für eine Totgeburt war unter beiden Behandlungsoptionen vergleichbar hoch:
- 34,2 Prozent unter Insulin plus Metformin und
- 32,7 Prozent unter Insulin allein.
Das Risiko, dass die Kinder mit Fehlbildungen auf die Welt kamen, lag für
- Insulin bei 8 Prozent und
- bei Insulin plus Metformin bei 5,7 Prozent.
„Im Vergleich zur Umstellung auf eine Insulin-Monotherapie führte die Fortsetzung von Metformin und die Hinzufügung von Insulin in der Frühschwangerschaft bei Frauen, die vor der Schwangerschaft Metformin erhielten, zu einem geringen bis gar keinem erhöhten Risiko für Totgeburten“, erklärten die Wissenschaftler. Langzeitdaten zu den Effekten von Metformin für die Kinder fehlen.
Embryotox: Insulin ist erste Wahl
Laut Embryotox, dem Pharmakovigilanzzentrum für Embryonaltoxikologie an der Charité Berlin, ist der Erfahrungsumfang zu Metformin in der Schwangerschaft „sehr hoch“. Mehr als 5.000 nachverfolgte Schwangerschaftsverläufe hätten keinen Anhalt für Teratogenität (fruchtschädigende Eigenschaften) im ersten Trimenon ergeben. Metformin sei nicht fetotoxisch und auch nach dem ersten Drittel der Schwangerschaft gut untersucht.
Embryotox rät: „Typ-2-Diabetikerinnen, die einer pharmakologischen Therapie bedürfen, sollten möglichst schon bei Planung einer Schwangerschaft auf Humaninsulin oder auf gut untersuchte Insulinanaloga um- und eingestellt werden. Metformin kann bei hoher Insulinresistenz eine alternative Therapieoption darstellen; eine schon präkonzeptionell begonnene Therapie darf fortgesetzt werden.“
Frauen, die erst in der Schwangerschaft einen Diabetes entwickeln (Gestationsdiabetes) und Arzneimittel benötigten, sollten ebenfalls mit Insulinen oder gut untersuchten Insulinanaloga behandelt werden. Allerdings könne off-label und nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung eine Therapie mit Metformin durchaus erwogen werden, insbesondere bei Schwangeren mit Insulinresistenz.