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Leseprobe PTAheute 19/2020: Impfstoff und dann?

Bild: nurulanga – iStockphoto.com

SARS-CoV-2, umgangssprachlich auch als Coronavirus bekannt, hat unser Leben auf den Kopf gestellt. Unterricht und Vorlesungen finden überwiegend digital statt, Homeoffice ist zum Normalzustand geworden, kulturelle Veranstaltungen gibt es kaum mehr und zahlreiche Selbstständige kämpfen ums Überleben. Freunde treffen? Shoppen gehen? Ja, aber nur unter strengen Auflagen. Das unbeschwerte Gefühl von Sicherheit, von Normalität ist uns abhandengekommen. Soziales und berufliches Leben ist das eine, gesundheitliche Risiken sind das andere. Wir werden uns erst wieder ganz sicher fühlen können, wenn es einen Impfstoff gibt.

Viele offene Fragen

Rund ein Dutzend Unternehmen weltweit testen ihre neu entwickelten Substanzen bereits an Menschen, sind also in der Phase der klinischen Studien. Doch wenn uns eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages die Nachricht erreicht, dass ein potenter Impfstoff gegen SARS-CoV-2 gefunden wurde, steht gleich die nächste Frage im Raum: Wie soll es gelingen, ihn in ausreichender Menge – und hier sprechen wir von mehreren Millarden Dosen – zu produzieren, abzufüllen, zu verpacken, mit den entsprechenden Beipackzetteln in den unterschiedlichsten Sprachen zu versehen und auszuliefern? Mit solchen Größenordnungen hatten wir es bislang noch nie zu tun. Vorhandene Kapazitäten richten sich nach dem bisherigen Bedarf an Impfstoffen. Rund fünf bis sechs Milliarden Impfdosen müssten dann auf einen Schlag weltweit zur Verfügung stehen. Schon bei Grippe-Impfstoffen – etwa 1,5 Milliarden weltweit pro Jahr – kam es immer wieder zu Lieferengpässen. Und jetzt diese gewaltigen Mengen? Wie soll das gehen? Verpackungen, Durchstechfläschchen, selbst vergleichsweise simple Dinge wie Aluringe und Gummistopfen müssen zur Verfügung stehen. Ist das zu stemmen? Oder wird die Eindämmung der Corona-Pandemie an logistischen Problemen scheitern? Was, wenn es einen Impfstoff gäbe, man ihn aber nicht oder erst verspätet ausliefern könnte?

Herstellung der Impfstoff-Fläschchen kein Problem?

Solche Befürchtungen verwundern allerdings die großen Hersteller von Impfstoff-Fläschchen, darunter den Mainzer Konzern Schott. Der Spezialglashersteller produziert bereits heute über elf Milliarden Pharmaverpackungen pro Jahr in einem weltweiten Netzwerk, Schott betreibt Produktions- und Vertriebsstandorte in über 34 Ländern. In den vergangenen Monaten hat das Unternehmen 350 Millionen Euro in die Erweiterung seiner Produktionskapazitäten investiert. Schott hat Lieferabkommen mit führenden Pharmaunternehmen getroffen, darunter auch Teilnehmer der „Operation Warp Speed“, einer von der US-Regierung ins Leben gerufenen Initiative zur Herstellung von Impfstoffen gegen das SARS-CoV-2-Virus, die einen Lieferumfang von zwei Milliarden Fläschchen für den Impfstoff vorsehen. Man sei optimistisch, dass die Versorgungsziele erreicht werden können, sagte Schott-Vorstandschef Frank Heinricht in einer Erklärung, der sich auch die Konkurrenten Gerresheimer aus Düsseldorf und die Stevanato Group aus Italien anschlossen. Jeder der drei kommt auf rund 30 Prozent Marktanteil bei der Herstellung der Impfstoff-Fläschchen. Eine gemeinsame Erklärung von konkurrierenden Unternehmen ist nun eher ungewöhnlich, doch man wolle damit, so die Hersteller, das Vertrauen in die globale pharmazeutische Versorgungskette bekräftigen.

Produktion vorab – wenn möglich

Die Impfstoff-Flaschen bestehen aus speziellem Borosilikatglas, das sehr beständig gegen die unterschiedlichsten Chemikalien, Temperaturverhältnisse und -veränderungen ist. Laut der Schott AG verhindert es Reaktionen zwischen Behältnis und Impfstoff und ist damit besonders für den Transport und die Lagerung geeignet. Auch glaubt das Unternehmen, dass der Bedarf letztlich geringer sein wird, als man derzeit vermutet. So könnte jede Flasche etwa mehrere Impfstoff-Dosen enthalten. Doch auch die Packungsbeilagen könnten zu einem Problem werden, müssten sie doch in kürzester Zeit in nahezu allen Sprachen vorliegen. Damit kann allerdings erst begonnen werden, wenn klar ist, welcher Impfstoff das Rennen macht, welche Dosis vonnöten ist und mit welchen Nebenwirkungen oder Kontraindikationen man rechnen muss. Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) sieht Deutschland bei der Impfstoff-Produktion gut aufgestellt. Allerdings sei es richtig, dass die Regierung Geld bereitstelle, damit Unternehmen bereits jetzt in die Produktion investieren können, obwohl man normalerweise noch abwarten würde, bis die entsprechenden Studien abgeschlossen seien, so VFA-Präsident Han Steutel. Eines ist klar: Noch ist ein Stück des Wegs zu gehen – und es wird lang und steinig sein.