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Leseprobe PTAheute 8/2019: Das Männerhormon

Foto: dolgachov – iStockphoto.com

Wann ist ein Mann ein Mann? Das fragte sich schon Herbert Grönemeyer in seinem 1984 veröffentlichten Song „Männer“. Testosteron ist dafür in jedem Fall ein bedeutsamer Baustein. Natürlich produzieren nicht nur Männer dieses Hormon: Auch Frauen haben einen – wenn auch niedrigeren – Testosteronspiegel. Umgekehrt werden aber auch weibliche Sexualhormone, die Estrogene, im männlichen Körper gebildet.

Befehl von ganz oben

Testosteron gehört zu den sogenannten An­drogenen, den männlichen Sexualhormonen. Das Steroidhormon wird sowohl in speziellen Zellen der Hoden, den Leydig-Zellen, gebildet als auch in geringem Umfang in der Nebennierenrinde. Der Befehl für seine Produktion kommt dabei von ganz oben und unterliegt einem Regelkreis (siehe Infografik auf Seite 18): Der Hypothalamus regt mit dem Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) die Hypophyse dazu an, die Hormone FSH (Follikelstimulierendes Hormon) und LH (Luteinisierendes Hormon) zu bilden und freizusetzen. Diese Hormone zählen zu den Gonadotropinen und sorgen dafür, dass Testosteron in den Hoden produziert und freigesetzt wird. Um eine überschießende Hormonproduktion zu verhindern, hemmt Testosteron im Sinne einer negativen Rückkopplung die Freisetzung der übergeordneten Hormone. Im Hoden gebildetes Inhibin hemmt die FSH-Freisetzung zusätzlich.

Da die Testosteronsekretion einem zirkadianen Rhythmus unterliegt, finden sich morgens die höchsten Konzentrationen im Blutplasma. Dort liegt Testosteron mit etwa 98 Prozent weitestgehend an Eiweiße gebunden vor, vor allem an das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG), aber auch an Albumin. In gebundener Form ist Testosteron biologisch nicht aktiv. In einigen Geweben, wie zum Beispiel der Pros­tata, wird Testosteron von der 5α-Reduktase in Dihydrotestosteron umgewandelt. Sowohl Testosteron als auch Dihydrotestosteron haben Auswirkungen auf den Körper.

Ein Hormon, viele Wirkungen

Testosteron spielt in jeder Lebensphase des Mannes eine wichtige Rolle: Bereits im Mutterleib fördert es schon beim ungeborenen Kind die Entwicklung der männlichen Sexualorgane. Zu den primären Geschlechtsmerkmalen gehören neben dem Penis und dem Hodensack mit Hoden und Nebenhoden auch die Prostata und der Samenleiter.

In der Pubertät entwickeln sich durch die erhöhte Testosteronproduktion die sogenannten sekundären Geschlechtsmerkmale, die das männliche Erscheinungsbild prägen. Durch Testosteron bzw. Dihydrotestosteron kommt es zu Bartwuchs und der männlichen Körperbehaarung an Brust, Bauch, Rücken, Achseln und im Schambereich. Neben der tieferen Stimme, die sich durch den vergrößerten Kehlkopf bzw. die dadurch länger werdenden Stimmlippen ausbildet, unterstützt Testosteron außerdem den Muskelaufbau. Durch die Umverteilung der Körpermasse – hin zu breiten Schultern und schmalen Hüften – entsteht der typische männliche Körperbau. Außerdem wird der Abschluss des Knochenwachstums in der Pubertät gefördert. Im Verlauf des Erwachsenenlebens sorgen die physiologischen Testosteronspiegel dafür, dass die genannten Veränderungen aufrechterhalten bleiben. Dass Teenager in der Pubertät häufiger unter lästigen Pickeln leiden, hat ebenfalls mit den männlichen Sexualhormonen zu tun. Diese sorgen für eine verstärkte Talgproduktion – einem Faktor für die Entstehung von Akne.

Testosteron spielt zudem eine wichtige Rolle für das sexuelle Verlangen beim Mann sowie die Erektionsfähigkeit des Penis und reguliert zusammen mit dem Follikelstimulierenden Hormon die Spermienbildung. Außerdem beeinflusst das Hormon Stimmung und Verhalten und sorgt für geistige sowie körperliche Leistungsfähigkeit, denn das Sexualhormon fördert die Erythrozytenproduktion. Die roten Blutkörperchen sind für den Sauerstofftransport im Blut zuständig.

Veränderte Testosteronspiegel im Alter

Je nach Alter sind die Testosteronwerte unterschiedlich. Die Testosteronproduktion nimmt im Laufe des Lebens langsam, aber kontinuierlich ab. Das beginnt ungefähr ab einem Alter von 30 Jahren und hat in der Regel keine spürbaren Auswirkungen. Ein niedrigerer Testosteronspiegel im Alter ist also normal.

Das Wichtigste in Kürze

  • Testosteron wird in den Hoden gebildet und ist wichtig für die Entwicklung der Geschlechtsorgane und das männliche Erscheinungsbild. 
  • Testosteron spielt außerdem unter anderem eine Rolle beim Knochen- und Muskelaufbau sowie bei der Blutbildung. 
  • Bei einem Hypogonadismus mit erniedrigtem Testosteronspiegel und entsprechenden Symptomen ist eine Testosteron-Ersatztherapie indiziert.

Symptome eines Testosteronmangels

Liegt krankheitsbedingt eine zu niedrige Testosteronkonzentration vor, können sich die männlichen Körpermerkmale im Jugendalter nicht oder nur unzureichend entwickeln und die Geschlechtsreife bleibt aus. Die Folge sind unter anderem fehlende oder spärliche Körperbehaarung sowie fehlendes Penis- und Hodenwachstum. Abfallende Testosteronwerte nach der Pubertät können sich in einer Rückbildung der männlichen Merkmale äußern. Zu niedrige Werte im Alter haben ebenfalls Folgen. Sexuelle Symptome wie Abnahme der Libido und erektile Dysfunktion (siehe dazu auch den Artikel ab Seite 30) dürften relativ schnell auffallen. Körperlich kommt es bei einem Testosteronmangel außerdem zur Zunahme des Bauchfetts und erhöhten Gesamtcholes­terol- und LDL-Werten sowie zur Abnahme der Muskelmasse. Durch den Einfluss von Testosteron auf die Knochendichte und die roten Blutkörperchen können durch einen Mangel auch Erkrankungen wie Osteoporose oder Anämie begünstigt werden. Weitere mögliche Beschwerden sind Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen und herabgesetzte kognitive Fähigkeiten. Die Symptome beeinträchtigen somit das allgemeine Wohlbefinden. Natürlich können die genannten Beschwerden auch ganz andere Ursachen haben. Das herauszufinden ist Aufgabe des Arztes.

Testosteron-Ersatztherapie

Eine Testosteron-Ersatztherapie ist im Wesentlichen bei Männern indiziert, die unter einem sogenannten Hypogonadismus leiden. Dabei wird in den Gonaden (= Keimdrüsen des Mannes, Hoden) keine ausreichende Menge an Testosteron produziert. In der Folge können weder physiologische Testosteronspiegel aufrechterhalten noch eine normale Menge an Spermien gebildet werden. Es gibt verschiedene mögliche Ursachen für einen Hypogonadismus. Entweder bezieht sich die Störung auf die Funktion der Hoden (primärer Hypogonadismus) oder sie ist auf der Ebene der Hypophyse bzw. des Hypothalamus zu finden (sekundärer Hypogonadismus).

Beim primären Hypogonadismus sind die Leydig-Zellen geschädigt oder fehlen, sodass dort weniger oder gar kein Testosteron produziert werden kann. Ursächlich dafür können unter anderem das Klinefelter-Syndrom (Chromosomenstörung beim Mann), eine infektiös bedingte Hodenentzündung (Orchitis) zum Beispiel im Rahmen einer Mumps-Erkrankung oder eine Bestrahlung der Hoden sein. Liegt ein sekundärer Hypogonadismus vor, werden die Gonaden über die Hypothalamus-Hypophysen-Achse nicht ausreichend stimuliert. Erniedrigte FSH- und LH-Spiegel können zum Beispiel in einer angeborenen Defekt-Mutation von FSH und LH oder einer Schädigung der Hypophyse durch Tumoren oder Operationen begründet sein.

Liegen im Alter zu niedrige Testosteronspiegel in Kombination mit entsprechenden Symptomen (z. B. sexuelle Dysfunktion und depressive Verstimmungen) vor, ist im Allgemeinen von einem Altershypogonadismus die Rede. Dieser kann durch Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder durch das metabolische Syndrom verstärkt werden.

Testosteronspiegel messen

Gemessen wird der Testosteronspiegel im Blut. Das Ergebnis wird als Gesamttestosteronwert in Nanomol pro Liter angegeben und umfasst sowohl das an Eiweiße gebundene als auch das freie Testosteron im Blut. Welche Werte als „normal“ gelten, ist nicht abschließend definiert. Als ungefähren Bereich lassen sich Werte von etwa 10 bis 40 nmol/l angeben. Denn der Testosteronspiegel ist nicht nur abhängig vom Alter, sondern variiert auch von Mann zu Mann. Einfluss auf das Ergebnis haben auch das auswertende Labor sowie – aufgrund der zirkadianen Rhythmik – der Zeitpunkt der Messung. Weitere Faktoren, die den Testosteronwert steigen oder sinken lassen können, sind beispielsweise zuckerhaltiges Essen, Sport, Sex, Schlafmangel, Drogen, Leberschäden, starke Unterernährung oder Stress. Längerfristig eingenommene Arzneimittel wie Glucocorti­coide oder Opioide hemmen die Testosteronproduktion. Aufgrund der vielfältigen Einflussfaktoren kann das Ergebnis einer einzelnen Messung somit nur einen Hinweis geben und eine weitere Bestimmung ist ratsam.

Als zu niedrig können bei jüngeren Männern Werte betrachtet werden, die unter 10,4 nmol/l liegen. Bei älteren Männern ist ein Testosteron-Spiegel unter 8 nmol/l behandlungsbedürftig. Liegt der Spiegel nur geringfügig höher (bis circa 12 nmol/l), kann abhängig von den Symptomen ebenfalls eine Therapie indiziert sein.

Testosteronpräparate im Überblick

Bevor testosteronhaltige Arzneimittel eingesetzt werden, muss der Testosteronmangel labormedizinisch und klinisch – also anhand von Symptomen – bestätigt sein. Andere Ursachen sollten natürlich vorher ausgeschlossen und eine entsprechende Diagnose gestellt worden sein.

Zur Therapie stehen verschreibungspflichtige Präparate mit Testosteron bzw. Testosteronderivaten in verschiedenen Darreichungsformen zur Verfügung. Die Wirkstoffe Testosteron-undecanoat und Testosteronenantat finden sich in Lösungen zur intramuskulären Injektion (z. B. Nebido® Injektionslösung, Testoviron® Depot Injektionslösung). Testosteron selbst kann als Gel (z. B. Testogel® Gel, Tostran® 2 % Gel) auf die Haut aufgebracht werden. Eine orale Anwendung von Testosteron ist aufgrund des hohen First-Pass-Effekts in der Leber nicht ­zielführend. Anders sieht es bei Testosteron-undecanoat (Andriol® Testocaps Kapseln) aus: Der lipophile Wirkstoff gelangt nach der Einnahme über die Lymphgefäße direkt in den großen Blutkreislauf.

Für die Patienten wichtig zu wissen ist, dass die therapeutischen Effekte auf Körper und Psyche verzögert auftreten und sich in der Regel erst nach ein paar Wochen bis Monaten zeigen. Am schnellsten dürften sich die verbesserte Erek­tionsfähigkeit und die gesteigerte Libido bemerkbar machen. Da der Anstieg des Hämatokrits und des Hämoglobins zu den häufigen Nebenwirkungen zählt, sind diese Blutwerte unter der Therapie in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Auch die Kontrolle der männlichen Brust und der Prostata gehört zu den Überwachungsmaßnahmen. Gleiches gilt für den Testosteronserumspiegel, das Lipidprofil sowie die Leberfunktion. Interaktionen sind mit Vitamin-K-Antagonisten wie zum Beispiel Phenprocoumon möglich, weshalb auch eine sorgfältige Überwachung des Gerinnungsparameters empfohlen wird. Bei bestehendem Pros­tatakarzinom oder Brustkrebs sowie bei Verdacht darauf ist eine Testosteron-Ersatztherapie kontraindiziert.

Wie erkläre ich es meinem Kunden?

  • „Der Arzt hat Ihnen dieses Testosterongel verordnet. Achten Sie darauf, dass andere Personen wie zum Beispiel Ihre Frau nicht damit in Berührung kommen.“ 
  • „ Nehmen Sie die Kapsel bitte zum Essen ein. Dann wird der Wirkstoff vom Körper optimal aufgenommen.“ 
  • „Bis Sie die positiven Effekte der Testosteron-Ersatztherapie spüren, können Wochen oder Monate vergehen. Haben Sie also ein wenig Geduld, was die Wirkungen betrifft.“

Gefahren des Missbrauchs

Eine bestimmungsgemäße, ärztlich begleitete Testosteronsubstitution kann unter Berücksichtigung von Kontraindikationen und Überwachungsmaßnahmen als grundsätzlich sicher und von Nutzen für den Patienten erachtet werden. Anders sieht es aus, wenn hohe Testos­terondosen, möglicherweise in Kombination mit anderen anabolen androgenen Steroiden, missbräuchlich angewendet werden. Die möglichen Nebenwirkungen sind schwerwiegend und betreffen unter anderem das Herz-Kreislauf-System und die Leber. Auch psychiatrische Ereignisse können auftreten. Die gesundheitlichen Risiken eines Missbrauchs, zum Beispiel im sportlichen Bereich zum Muskelaufbau und zur Leistungssteigerung, sind nicht zu unterschätzen. Das Hormon steht auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur und gehört somit zu den im Leistungssport verbotenen Substanzen.

Auch Männer, die sich im Alter ein Stück Jugendlichkeit und gestärkte Manneskraft zurückwünschen, könnten gegenüber ihrem Arzt den Wunsch nach einem Testosteronpräparat äußern. Testosteron und seine Derivate sind aber keineswegs als harmlose Anti-Aging-Mittel zu betrachten. Unpässlichkeiten und Beschwerden, die Männer im Alter plagen, können durch verschiedene Faktoren bedingt sein und müssen nicht zwangsläufig mit dem Testos­teronspiegel zusammenhängen. Unabhängig davon, ob ein ärztlich bestätigter (Alters-)Hypogonadismus und damit eine Indikation für eine Testosteron-Ersatztherapie vorliegt oder nicht, ist eine gesunde Lebensführung mit ausreichend Bewegung, ausgewogener Ernährung, einem angemessenen Körpergewicht sowie Verzicht auf Zigaretten und allenfalls mäßigem Alkoholkonsum empfehlenswert.