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Fehlbildungen und Pankreatitis: Rote-Hand-Brief zu Carbimazol und Thiamazol

In einem aktuellen Rote-Hand-Brief warnen Hersteller carbimazol- und thiamazolhaltiger Arzneimittel vor zwei möglichen Risiken: Fehlbildungen und Pankreatitis. | Bild:BPI

Carbimazol- und thiamazolhaltige Arzneimittel setzen Ärzte bei Patienten mit Schilddrüsenüberfunktion ein. Sie hemmen den Einbau von Iod in die körpereigenen Schilddrüsenhormone Triiodthyronin (T3, Liothyronin) und Tetraiodthyronin (T4, Levothyroxin) und in der Folge die Funktion der Schilddrüse. Die Freisetzung der bereits synthetisierten Schilddrüsenhormone wird nicht beeinflusst, weswegen bei Beginn einer thyreostatischen Behandlung eine gewisse Latenzzeit vergehen kann, bis sich die Hormonspiegel normalisieren. Carbimazol ist ein Prodrug, die eigentliche Wirkform ist Thiamazol.

Rote-Hand-Brief warnt vor zwei unerwünschten Arzneimittelwirkungen

Nun warnen die Hersteller von thiamazol- und carbimazolhaltigen Arzneimitteln vor zwei unerwünschten Wirkungen, die im Zusammenhang mit der Einnahme der Thyreostatika beobachtet wurden. In Abstimmung mit den zuständigen Behörden – Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) – informieren sie in einem Rote-Hand-Brief über 

  • das Risiko einer akuten Pankreatitis und 
  • die Verstärkung der Empfehlung zur Kontrazeption.

Akute Entzündungen der Bauchspeicheldrüse unter Carbimazol und Thiamazol

Der Warnung vor akuten Bauchspeicheldrüsenentzündungen liegen Meldungen aus der Routineanwendung carbimazol- und thiamazolhaltiger Arzneimittel zugrunde. Derzeit ist der Mechanismus, wie die Thyreostatika zu einer akuten Entzündung der Bauchspeicheldrüse führen, nicht klar. Jedoch hat sich gezeigt, dass bei Patienten, die unter Carbimazol oder Thiamazol akute Pankreatitiden entwickelten, bei erneuter Gabe der Thyreostatika die Zeit bis zum Auftreten einer Pankreatitis verkürzt ist. Die Behörden sehen hierin einen Hinweis auf ein immunologisches Geschehen.

Entwickeln Patienten unter Carbimazol oder Thiamazol eine akute Pankreatitis, müssen sie das jeweilige Arzneimittel sofort absetzen. Eine erneute Einnahme des Arzneimittels darf nicht erfolgen. So steht im Rote-Hand-Brief: „Jegliche zukünftige erneute Exposition gegenüber Carbimazol oder Thiamazol muss bei Patienten vermieden werden, die in der Vergangenheit eine akute Pankreatitis während der Anwendung von Carbimazol oder Thiamazol erlitten haben, weil dies zum Wiederauftreten einer potentiell lebensbedrohlichen akuten Pankreatitis mit verkürzter Zeit bis zum Krankheitsbeginn führen könnte.“

Akute Pankreatitis – was ist das?

Unter einer Pankreatitis versteht man eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse, die sowohl akut als auch chronisch verlaufen kann. Einer akuten Pankreatitis liegt eine Selbstverdauung der Bauchspeicheldrüse zugrunde, da in der Bauchspeicheldrüse produzierte Verdauungsenzyme, wie beispielsweise Trypsinogen, zu früh – sprich bereits in der Bauchspeicheldrüse – aktiviert werden. Normalerweise wird Trypsinogen erst im Duodenum (Zwölffingerdarm) in seine aktive Form Trypsin überführt. Die physiologische Aufgabe des Trypsins im Darm ist, Lipasen und Phospholipasen zu aktivieren, die wiederum Fette, Proteine und Kohlenhydrate verdauen. Findet dies bereits in der Bauchspeicheldrüse statt, beginnt das Organ, sich selbst zu verdauen. 

Eine akute Pankreatitis kann mehrere Ursachen haben, in den meisten Fällen ist die Ursache biliär (die Galle betreffend). Gallensteine verschließen die Einmündung des Gallenganges in den Dünndarm, der zugleich auch der Eingang für die Pankreassekrete ist. Dadurch fließt Duodenalsekret zurück in die Bauchspeicheldrüsengänge, was in der Folge das Epithel schädigt. Auch chronischer Alkoholabusus (Alkoholmissbrauch) kann zu einer Pankreatitis führen, ebenso wie bestimmte Arzneimittel oder Infektionen (zum Beispiel HIV, Hepatitis, Mumps). 

Die Patienten leiden sodann an heftigen Schmerzen im Oberbauch, begleitet von Übelkeit und Erbrechen, Obstipation (Verstopfung), Ikterus (Gelbsucht) und Fieber. In schweren Fällen kann eine akute Pankreatitis tödlich verlaufen.

Fehlbildungen unter Carbimazol und Thiamazol

Der Verdacht, dass es unter den Thyreostatika Carbimazol und Thiamazol in der Schwangerschaft zu Fehlbildungen des ungeborenen Kindes kommen kann, ist nicht neu. Nun gibt es jedoch neue Daten, die den bereits bestehenden Verdacht erhärten. Vor allem wenn Carbimazol oder Thiamazol im ersten Drittel der Schwangerschaft genommen werden, zudem in hohen Dosen, besteht der Verdacht, dass es zu kindlichen Fehlbildungen kommen kann. Die Hersteller der Thyreostatika betonen im Rote-Hand-Brief, dass Frauen im gebärfähigen Alter unter Carbimazol oder Thiamazol sicher verhüten müssen.

Hyperthyreose und Kinderwunsch – was es zu beachten gilt

Sollte bei hyperthyreoten Frauen ein Kinderwunsch bestehen, wird es etwas komplizierter. Denn auch wenn sich eine Schwangerschaft in der Regel eher günstig auf eine Schilddrüsenüberfunktion auswirkt, muss eine Hyperthyreose auch in der Schwangerschaft adäquat behandelt werden. Auch eine Schilddrüsenüberfunktion kann nämlich das ungeborene Kind schädigen. „Unbehandelte Hyperthyreosen in der Schwangerschaft können zu schwerwiegenden Komplikationen wie Frühgeburten und Missbildungen führen“, informieren die Fachinformationen zu den Thyreostatika. Somit muss in diesem Fall eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung stattfinden – eine thyreostatische Behandlung soll laut den Autoren des Rote-Hand-Briefes nur in der niedrigsten Dosis und generell ohne Substitution von Schilddrüsenhormonen durchgeführt werden. Das hat den Hintergrund, dass teilweise aufgrund der Blockade durch Carbimazol oder Thiamazol eine Substitution mit Schilddrüsenhormonen praktiziert wird. Darüber hinaus wird ein engmaschiges Monitoring von Mutter, Fetus und Neugeborenem empfohlen, falls Carbimazol oder Thiamazol während der Schwangerschaft angewendet werden.

Die pharmazeutischen Unternehmer carbimazol- und thiamazolhaltiger Arzneimittel müssen künftig auf die beschriebenen Risiken in den jeweiligen Fach- und Gebrauchsinformationen hinweisen.