Anti-Baby-Pillen tragen nun Warnhinweis zu Suizidalität: Rote-Hand-Brief zu hormonellen Kontrazeptiva
Depressionen: Bekannte Nebenwirkung unter hormonellen Kontrazeptiva
Depressionen und auch depressive Verstimmungen sind bekannte Nebenwirkungen hormoneller Kontrazeptiva. So weisen auch die Gebrauchs- und Fachinformationen auf diese unerwünschte Wirkung der Anti-Baby-Pillen hin. In unterschiedlichen Präparaten finden sich Hinweise zu „depressiven Verstimmungen“, „Stimmungsschwankungen, einschließlich Depression“. Diese Nebenwirkungen werden nun jedoch ergänzt: Denn bekannt ist ebenfalls, dass Depressionen ein Risikofaktor für Selbsttötungsgedanken beziehungsweise suizidales Verhalten und Suizid sein können. Aus diesem Grund soll zusätzlich auch auf diese Gefahr hingewiesen werden. Darüber informieren die 34 Hersteller hormoneller Kontrazeptiva in einem Rote-Hand-Brief.
Künftig finden Anwenderinnen hormoneller Kontrazeptiva sowie Angehörige der Heilberufe in den informierenden Texten:
Fachinformation
4.4. Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung
„Depressive Verstimmung und Depression stellen bei der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva allgemein bekannte Nebenwirkungen dar (siehe Abschnitt 4.8). Depressionen können schwerwiegend sein und sind ein allgemein bekannter Risikofaktor für suizidales Verhalten und Suizid. Frauen sollte geraten werden, sich im Falle von Stimmungsschwankungen und depressiven Symptomen – auch wenn diese kurz nach Einleitung der Behandlung auftreten – mit ihrem Arzt in Verbindung zu setzen.“
Gebrauchsinformation
2. Was sollten Sie vor der Einnahme von {Bezeichnung des Arzneimittels} beachten?
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
Psychiatrische Erkrankungen:
„Manche Frauen, die hormonelle Verhütungsmittel wie {Bezeichnung des Arzneimittels} anwenden, berichten über Depression oder depressive Verstimmung. Depressionen können schwerwiegend sein und gelegentlich zu Selbsttötungsgedanken führen. Wenn bei Ihnen Stimmungsschwankungen und depressive Symptome auftreten, lassen Sie sich so rasch wie möglich von Ihrem Arzt medizinisch beraten.“
Hinweis zu Suizid unter Anti-Baby-Pille: Warum?
Der neue Warnhinweis wurde von den Herstellern hormoneller Kontrazeptiva in Fach- und Gebrauchsinformationen aufgrund einer Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA aufgenommen. Dieser ging ein Signalverfahren des PRAC voraus. Der PRAC fungiert als Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (Arzneimittelsicherheit) und hatte aufgrund von Meldungen das Auftreten von Suizid und Suizidversuchen während der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva untersucht. Grundlage für die Einschätzung des PRAC hin zu einem Warnhinweis waren Studienergebnisse, die im American Journal of Psychiatry veröffentlicht wurden.
Dänische Studie an fast 500.000 Frauen
Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva und dem Auftreten von Suiziden oder versuchten Suiziden lieferte eine große Untersuchung aus Dänemark. Hier wurden die Daten von fast einer halben Million Frauen über einen durchschnittlichen Zeitraum von 8,3 Jahren ausgewertet. Während der Beobachtungszeit (1996 bis 2013) versuchten 6.999 Frauen, sich das Leben zu nehmen, 71 begingen tatsächlich Selbstmord.
Es wurden nur Frauen in die Datenerhebung aufgenommen, die während des Untersuchungszeitraumes 15 Jahre alt wurden. Auch durften sie vor ihrem 15. Lebensjahr keine hormonellen Kontrazeptiva und Antidepressiva eingenommen haben, und auch eine psychiatrische Diagnose (beispielsweise Depression) durfte bei Studienbeginn anamnestisch nicht bekannt sein. Nun wurden in der Studie Frauen, die hormonell verhüteten, mit Frauen verglichen, die keine hormonellen Kontrazeptiva nutzten. Das Ergebnis: Frauen unter hormonellen Kontrazeptiva zeigten ein knapp doppeltes (1,97-fach erhöhtes) Risiko für erste Selbstmordversuche, das Risiko für einen tatsächlichen Suizid war dreimal so hoch (3,08-fach).
Am häufigsten versuchten Frauen unter hormonellen Kontrazeptiva zwei Monate nach Einnahmebeginn sich das Leben zu nehmen. Dabei gab es auch Unterschiede im Alter der Probandinnen. Das ermittelte Risiko für Suizide war in der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen höher als bei älteren Anwenderinnen. Hierin erkannten die Studienautoren damals auch eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse: Vielleicht könnte die erhöhte Suizidalität auch einfach an der Altersgruppe liegen?
Kein kausaler Zusammenhang zwischen Anti-Baby-Pillen und Selbstmord
Wichtig ist hierbei: Bislang sieht der Risikoausschuss keinen direkten kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme hormoneller Kontrazeptiva und Suizidversuchen beziehungsweise tatsächlich vollzogenem Selbstmord. Das wäre der Fall, wenn eine direkte Beziehung zwischen Ursache und Wirkung bestünde, wenn ein Ereignis A (hier die Einnahme der Antibabypille = Ursache) zu Ereignis B führt (hier höhere Rate an Selbstmord = Wirkung). Dieser direkte Zusammenhang besteht nach Ansicht des PRAC nicht. Die Empfehlung zum neuen Warnhinweis und seine Begründung hierfür fußt eher darauf, dass Suizid eine bekannte Folge von Depressionen sein kann – und diese ist unter hormonellen Kontrazeptiva als Nebenwirkung wiederum durchaus bekannt.