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Hilfe für Patienten bei Depressionen: Neue Patientenleitlinie

Bild: Giorgio Pulcini - Fotolia.com

Leide ich an einer Depression? Nicht alle Menschen, die diese Überlegung quält, wenden sich damit direkt oder überhaupt an einen Arzt oder Therapeuten. Sie wälzen diese Frage zunächst allein – bevor sie Google und Wikipedia bemühen. Warum ist das so? Immerhin erkranken 16-20 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens an einer Depression – Depressionen sind also nicht gerade rar gesät. Experten gehen davon aus, dass zusätzlich viele Fälle unerkannt bleiben.

Ein Grund für die hohe Dunkelziffer bei Depressionen ist sicherlich, dass der psychischen Erkrankung in der Gesellschaft noch immer ein negatives Stigma anhaftet: Eine Depression wird häufig mit persönlicher Schwäche gleichgesetzt. Betroffene fürchten, von ihrem Umfeld verurteilt, ausgelacht oder als „verrückt“ abgestempelt zu werden. Es ist zum einen also die Scham, die Patienten hemmt, professionelle Hilfe bei dieser Erkrankung zu suchen. Hinzu kommt aber auch die Unsicherheit, ob sie überhaupt „richtig“ krank sind – oder vielleicht ein Winter-Weihnachts-Silvesterblues sie gerade einfach erschöpft und traurig stimmt. Oder sie sich ihre Beschwerden gar allesamt nur einbilden? Und wer wäre überhaupt der richtige Ansprechpartner für ihr Problem?

Für eine Depression muss man sich nicht schämen

Die neue „Patientenleitlinie Unipolare Depressionen“ spricht genau diese Patienten an – die sich aus Scham oder Unwissenheit scheuen, professionelle Unterstützung zu suchen. Sie ermutigt Patienten, sich nicht vor dem Stigma der „psychischen Erkrankung“ zu fürchten und bestärkt Betroffene, aktiv zu werden und fachlichen Rat tatsächlich in Anspruch zu nehmen. „Niemand würde sich schämen, wegen Rückenschmerzen eine Praxis aufzusuchen“, heißt es in der Leitlinie. Sie räumt mit gesellschaftlich verankerten Vorurteilen zu Depressionen auf und informiert Betroffene in einer leicht verständlichen Weise über die klassischen Symptome einer Depression – gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit und Antriebsmangel.

Die Patienten erfahren, dass genetische Faktoren aber auch persönliche Lebensumstände Ursache für eine Depression sein können. Selbst andere Grunderkrankungen wie Diabetes oder eine koronare Herzkrankheit werden teilweise von depressiven Episoden begleitet. Die Experten der Patientenleitlinie betonen, dass psychische Erkrankung – genau wie beispielsweise Rückenschmerzen – keine Frage der Schuld seien.

Antworten finden Patienten auch zu Risikofaktoren, die das Auftreten einer Depression begünstigen und wahrscheinlicher machen können: Leidet ein Familienmitglied an Depressionen? Liegen Tabletten- oder Alkoholabhängigkeiten vor? Wie stabil ist der Betroffene in sein soziales Umfeld eingebunden? Was viele Patienten nicht wissen: Eine Depression kann sich auch in körperlichen Beschwerden zeigen. So können Schlaflosigkeit, Appetitmangel oder andauernde Kopfschmerzen unter Umständen auch einmal Anzeichen für eine depressive Erkrankung sein. Auch sei es außerdem nicht immer leicht, eine normale Lebensphase der Niedergeschlagenheit von einer therapiebedürftigen Depression abzugrenzen. 

Behandlungsangebote: Was können Patienten bei Depressionen selbst tun?

Doch an wen sollen sich Betroffene wenden, wenn sie den Verdacht haben, depressiv zu sein? Psychotherapeuten und Ärzte sollten die ersten Ansprechpartner sein. Welche Behandlungsmöglichkeiten dann ausgeschöpft werden – Psychotherapie, Antidepressiva oder eine Kombination beider Methoden – entscheidet Art und Schwere der Depression.

Erstmalig nennt die Leitlinie auch niederschwellige Behandlungsangebote, die Patienten mit Depressionen eigeninitiativ nutzen können: „Selbsthilfe-Manuale, DVDs oder Online-Programme mit Übungen und Anregungen, die auf psychotherapeutischen Verfahren beruhen“. Es gebe durchaus Studien, die Hinweise lieferten, dass auch solche Methoden eine Depression besserten. Vorteil dieser Methoden ist, dass Patienten leichten Zugang zu ihnen haben. Die Leitlinie sieht hierin klar keinen Ersatz für den Psychotherapeuten oder den Arzt. Vielmehr eine ergänzende Maßnahme, die Patienten zusätzlich unterstützen können.

Konkrete Angebote macht die Leitlinie auch Patienten, wenn diese Kontakte zu Beratungsstellen oder zu Selbsthilfegruppen suchen.

Sind Patientenleitlinien so gut wie Expertenleitlinien?

Die Empfehlungen der Leitlinien sind wissenschaftlich fundiert. Sie orientieren sich an der Nationalen Versorgungsleitlinie „Unipolare Depression“, die erst im November 2015 aktualisiert wurde. Die Leitlinie für Patienten enthält somit die gleichen Expertenempfehlungen, ist nur sprachlich an die Zielgruppe der „Nichtmediziner“ angepasst. Zusätzlich gibt es am Ende der Patientenleitlinie ein Wörterbuch, das medizinische Fachbegriffe nochmals verständlich erklärt.

Gefahr durch Suizid und Zwangseinweisung – dürfen Angehörige das? 

Die Leitlinie richtet sich nicht nur an Betroffene. Sie gibt auch Handlungsempfehlungen für deren Angehörige oder Freunde. Leidet ein Mensch an einer Depression, trifft die Erkrankung nicht nur isoliert diese Person, sondern auch deren mittelbares Umfeld. Was können Angehörige tun? Wie geht man mit der Situation um, wenn eine Person aus dem näheren Umfeld depressiv ist? Angehörige und Freunde können helfen aber nicht heilen. Wichtig sei es, dem Patienten Verständnis entgegenzubringen, für seine Gefühle und seine aktuelle Lage. Und: Ihn insbesondere zu bestärken, professionelle Hilfe zu suchen.

Die Leitlinie scheut auch kritische Themen – wie Suizid – nicht. Dürfen Freunde eine Suizidgefährdeten zwangsweise einweisen lassen? Ja. Hier wird betont, dass in solchen Situationen sogar rascher Handlungsbedarf bestehe. Eine Zwangseinweisung ist unter der Voraussetzung möglich, wenn Gefahr im Verzug ist und eine Fremd- oder Selbstgefährdung vorliegt. Doch wer ist zuständig? Der Notarzt oder Rettungsdienst? Ein naheliegender Gedanke – allerdings ist für derartige Zwangseinweisungen die Polizei zuständig, wenn sich der Patient nicht überzeugen lässt, dass Freunde oder Angehörige ihn in eine entsprechende Klinik fahren.

Patienten sollen Medikationsplan fordern

Dass die Leitlinie brandaktuell ist, zeigt ein vorbildlicher Hinweis auf den Medikationsplan. Patienten, die dauerhaft mindestens drei Arzneimittel einnehmen, haben seit dem 1. Oktober dieses Jahres gesetzlichen Anspruch auf einen Medikationsplan. Patienten erhalten diesen von ihrem behandelnden Arzt. Das könne auch bereits bei der Diagnosefindung hilfreich sein, da auch Arzneimittel Depressionen verursachen können.