für mich: Zucker: Hallo, Süße!
von Reinhild Berger
Die Deutschen konsumieren pro Person und Tag durchschnittlich 91 Gramm Zucker, davon allein 23 Gramm über Erfrischungsgetränke. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt aus gesundheitlichen Gründen täglich maximal 25 Gramm „freie“ Zucker, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zieht die Grenze bei 50 Gramm pro Tag. Zu freien Zuckern zählen Monosaccharide und Disaccharide, die Hersteller oder Verbraucher Lebensmitteln zusetzen, sowie der in Honig, Sirupen, Fruchtsäften und Fruchtsaftkonzentraten natürlich vorkommende Zucker.
Selbst der wohlwollende Wert der DGE wird in der Wirklichkeit fast um 100 % übertroffen – eine der Ursachen dafür, dass immer mehr Menschen an Adipositas leiden. Was können wir tun, um unseren täglichen Überkonsum an Zucker zu vermeiden und somit gesünder zu leben?
Süßungsmittel im Überblick
Das Wichtigste in Kürze
- Im Durchschnitt verzehren die Deutschen täglich 91 g Zucker und übertreffen damit die Empfehlungen der WHO (maximal 25 g pro Tag) und DGE (maximal 50 g pro Tag).
- Als vermeintlich gesündere Alternative zu Zucker verwendet die Lebensmittelindustrie Süßungsmittel. Man unterscheidet Zuckeraustauschstoffe (mehrwertige Alkohole) und Süßstoffe.
- Zuckeraustauschstoffe haben in der Regel nur halb so viele Kalorien wie Zucker. Sie sind zahnfreundlich und eignen sich für Bonbons und Kaugummis, wirken aber ab einer gewissen Menge abführend.
- Süßstoffe sind zwar kalorienfrei, aber geschmacklich nicht immer überzeugend. Langjährige Erfahrungen zeigen, dass sie meistens nicht beim Abnehmen helfen, die Mechanismen sind noch unklar. Einflüsse auf die Darmflora sind in der Diskussion.
Sinnvoller Einsatz von Isomalt und Xylit
Bereits seit den 1960er-Jahren werden zuckerfreie Bonbons mit dem Zuckeraustauschstoff Isomalt hergestellt. Dieser Austausch ist unter mehreren Aspekten sinnvoll: Das aus Rübenzucker hergestellte Isomalt schmeckt fast wie Zucker, hat aber nur halb so viele Kalorien und gilt zudem als zahnfreundlich. Es hat nur eine geringe Wirkung auf den Blutzuckerspiegel und die Insulinfreisetzung. Mit Isomalt hergestellte Bonbons lösen sich langsamer auf als Zuckerbonbons. Das ist von Vorteil, denn so haben heilende oder reizlindernde Inhaltsstoffe, zum Beispiel in Lutschpastillen, länger Zeit, ihre Wirkung im Mund- und Rachenraum zu entfalten. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass Isomaltbonbons nicht einzeln in Folie oder Papier verpackt werden müssen. Sie verkleben auch bei höherer Luftfeuchtigkeit nicht und vertragen wärmere Temperaturen. Sie können gut in Pappschachteln verpackt werden.
Auch der hitzestabile Zuckeraustauschstoff Xylit („Birkenzucker“, Handelsname z. B.: „Xucker“) eignet sich zur Herstellung von Bonbons und wird vor allem Kaugummis zugesetzt. Xylit hat weniger Kalorien (240 kcal pro 100 Gramm) als Zucker (circa 400 kcal pro 100 Gramm), aber die gleiche Süßkraft und einen angenehmen Geschmack. Weil Xylit auf der Zunge einen Kühleffekt erzeugt, unterstreicht es Geschmacksrichtungen mit Minze. Xylit setzt nur wenig Insulin frei und ist ebenso wie Isomalt zahnfreundlich. Studien belegen sogar, dass Xylit auf Dauer kariesverursachende Bakterien reduzieren kann, was für die Verwendung in Bonbons, Pastillen und Kaugummis – mit langer Kontaktzeit im Mund – ein Vorteil ist.
Aufgepasst: Der Darm kann rebellieren
Die Nachteile von Zuckeraustauschstoffen können allerdings dramatisch sein. Enthält ein Produkt Zuckeraustauschstoffe in einer Menge von über zehn Prozent des Gesamtgewichts, so ist ein Warnhinweis verpflichtend. Auf der Packung muss stehen: „Kann bei übermäßigem Verzehr abführend wirken.“ Auch beim Verkauf loser Ware muss ein Warnhinweis öffentlich sichtbar sein. Selbst Menschen mit gesunder Verdauung bekommen Beschwerden wie Blähungen und Durchfall, wenn sie mehr als 50 Gramm Sorbit zu sich nehmen, die anderen Zuckeralkohole wirken ungefähr vergleichbar. Empfindliche Personen können schon bei Mengen ab fünf Gramm unter Bauchkrämpfen leiden. Der Grund: Unverstoffwechselte Zuckeralkohole ziehen im Dickdarm aufgrund ihrer hygroskopischen Eigenschaften Wasser an und verflüssigen den Stuhl – mit allen unangenehmen Folgen. Bei häufigem Bauchgrimmen und Durchfall sollte man also den Speisezettel überprüfen, um zu ermitteln, ob zu viele zuckerfreie Bonbons gelutscht oder Kaugummis gekaut werden.
Und jetzt die Süßstoffe
Auf Süßstoffe setzte man anfangs große Hoffnungen, schienen sie doch zunächst kalorienfreies Glück zu versprechen. Doch die Ernüchterung kam schnell. Süßstoffe schmecken zwar süß, aber nicht wie Zucker, sie haben ihren Eigengeschmack, an den man sich gewöhnen muss. Die Lebensmittelindustrie setzt Süßstoffe vor allem in Softdrinks ein. Viele Menschen süßen auch ihren Kaffee oder Tee mit Süßstoff. Dennoch verlieren Übergewichtige nur in seltenen Fällen durch die Verwendung von Süßstoff an Körpergewicht. Es gibt sogar Vermutungen, dass Süßstoffe trotz fehlender Kalorien die Gewichtszunahme fördern können, weil sie dem Gehirn das Signal „süß“ vortäuschen und dadurch Irritationen im Körper auslösen – begleitet von steigender Esslust. Die Studienlage dazu ist weiter ungeklärt.
Wann sind Süßstoffe sinnvoll?
Im Rahmen einer Reduktionsdiät kann es sinnvoll sein, Kaffee und Tee mit Süßstoff zu süßen, sofern es zum Wohlbefinden beiträgt und damit zum Durchhalten der Diät motiviert. Auf Softdrinks mit Süßstoffen sollten alle, denen eine gesunde Ernährung am Herzen liegt, allerdings lieber verzichten. Vor allem sollten Softdrinks, egal ob mit oder ohne Zucker, nicht täglich und nicht in größeren Mengen getrunken werden. Wasser ist immer die gesündere Alternative. Die Umgewöhnung von süßen Getränken auf ungesüßte fällt leichter, wenn man Wasser mit Kräutern, ungesüßten Obststückchen oder Gurkenscheiben geschmacklich aufpeppt.
Gesunde Alternativen zu Zucker?
Oft wird nur der raffinierte, weiße „Industriezucker“ für gesundheitsschädlich gehalten. Der übliche Haushaltszucker wird in Europa vorwiegend aus Zuckerrüben gewonnen und ist damit, trotz technischer Aufbereitung, rein pflanzlichen Ursprungs. Eher kritisch zu sehen sind die von der Lebensmittelindustrie verwendeten, besonders preisgünstig aus Getreidearten wie Weizen und Mais hergestellten, ebenfalls raffinierten (also technisch gereinigten) Glucose-Fructose-Sirupe. Um die Süßkraft zu erhöhen, wird der Fructoseanteil erhöht, mit durchaus bedenklichen Folgen, wie erhöhtem Risiko für metabolisches Syndrom, Fettleber und Gicht.
Aber gibt es überhaupt „gesunden“ Zucker? Wie sieht es aus mit dem viel gepriesenen Agavendicksaft, Honig, Ahornsirup oder Dattelsüße? Ist Kokosblütenzucker eine Alternative? Auch wenn selbsternannte Ernährungsexperten häufig etwas anderes behaupten und im Internet unhaltbare Empfehlungen abgeben: Zucker ist gleich Zucker, egal woher er kommt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung stellt klar: Zuckeralternativen bieten gegenüber raffiniertem Zucker keine gesundheitlichen Vorteile, da sie auf dieselbe Weise verstoffwechselt werden. Der Körper unterscheidet nicht zwischen Zuckermolekülen aus raffiniertem Haushaltszucker oder aus Agavendicksaft. Insbesondere Fruchtsirupe mit hohem Fructoseanteil können für den Organismus noch problematischer sein. Auch der besonders kostspielige Kokosblütenzucker, der oft als „vitaminhaltig“ beworben wird, ist nichts anderes als Saccharose, also normaler Zucker, der zudem noch weite Transportwege zurücklegen musste. Der Vitamingehalt ist so gering, dass er völlig vernachlässigbar ist.
Nur weniger süß ist gesund
Kuchenbacken mit Xylit oder Cocktails mit Erythrit – das mögen interessante Experimente sein. Doch entgegen entsprechenden Aussagen im Internet sind sie kein Baustein einer gesundheitsbewussten Ernährung. Wirklich gesund ist es nur, langfristig weniger süß zu essen. Wobei man Zucker keineswegs völlig meiden muss. Zucker ist weder böse noch Teufelszeug, alles ist eine Frage der Dosis. Die Herausforderung besteht darin, den täglichen Zuckerkonsum achtsam zu kontrollieren.
Wie erkläre ich es meinen Kunden?
- „Der Stoffwechsel unterscheidet nicht zwischen weißem Haushaltszucker und dem Zucker in Agavendicksaft, Honig oder Ahornsirup. Fruchtsirupe können durch ihren hohen Fructoseanteil noch problematischer sein: Sie begünstigen das Entstehen eines metabolischen Syndroms.“
- „Gesund ist nur, weniger Zucker aufzunehmen. Man muss nicht gänzlich verzichten, sollte aber seinen Zuckerkonsum kontrollieren.“
- „Häufig werden Süßigkeiten gegessen, um Gefühle wie Stress, Langeweile, Unruhe oder Frust zu kompensieren. Mithilfe eines Achtsamkeitstrainings kann man lernen, seine Gefühle auf andere Art zu regulieren.“
Gute Vorsätze helfen nicht?
Wer trotz allerbester Vorsätze im Alltag zu viele Süßigkeiten isst, kann von einem Achtsamkeitstraining profitieren. Denn die vielen süßen Happen zwischendurch isst man meist nicht aus Hunger, sondern wegen Stress, aus Langeweile, Trauer, Frustration oder Anspannung. Wer sich seine Empfindungen und Bedürfnisse ins Bewusstsein ruft, kann mit etwas Übung erlernen, seine Gefühle auf eine neue, gesündere Art zu regulieren. Tipps zum Thema „Essen und Emotionen“ findet man zum Beispiel auf den Internetseiten der Krankenkassen oder beim Bundeszentrum für Ernährung. Da Heißhunger oft nur ein kurzfristiges Verlangen ist, das nach wenigen Minuten wieder abklingen kann, raten manche Experten, sich drei bis zehn Minuten mit etwas anderem abzulenken, um die Gier nach Süßem abzuwehren.
Kinder sollten Süßigkeiten nicht als Belohnung oder Trostpflaster bekommen, weil auf diese Weise im Gehirn Abhängigkeiten geschaffen werden, die zur lebenslangen Belastung werden können.
Einkaufstipps
Verpackte Lebensmittel müssen seit 2016 überall in der EU mit einer Nährwerttabelle versehen sein. Diese Tabelle muss in Form der „Big Seven“ aufgebracht werden. Seven deshalb, weil mindestens sieben Angaben verpflichtend sind, jeweils pro 100 g oder 100 ml:
- Energiegehalt
- Fett
- davon gesättigte Fettsäuren
- Kohlenhydrate
- davon Zucker
- Eiweiß
- Salz
Diese Tabelle verrät zuverlässig, wie viel Zucker ein Produkt prozentual erhält. Zuckeraustauschstoffe sind Kohlenhydrate, manche Hersteller fügen freiwillig den Unterpunkt Mehrwertige Alkohole ein. Diese Angabe ist jedoch nicht verpflichtend. Ebenso freiwillig ist die Deklaration von einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Stärke, Ballaststoffen und gesetzlich zulässigen Vitaminen oder Mineralstoffen. Beim Blick auf die Angabe „davon Zucker“ erlebt man im Supermarkt häufig Überraschungen. So gibt es Produkte, die mit dem Aufdruck „ohne Zuckerzusatz“ oder „ungesüßt“ werben und trotzdem hohe Zuckergehalte haben, weil sie zum Beispiel viele Trockenfrüchte, Honig oder Fruchtsirupe enthalten. Dadurch kann der Zuckergehalt eines Produkts schnell auf 50 Prozent steigen. Man sollte sich von Aussagen wie „Fruchtsüße“ und „natürliche Süße“ nicht täuschen lassen. Klarheit verschafft nur ein Blick auf die Big Seven.
Dann lieber gar kein Zucker?
Niemand muss gänzlich auf Zucker verzichten. Genuss und gute Stimmung bedeuten ein Stück Lebensqualität. Doch man sollte seine Süßigkeiten achtsam aussuchen und sich dabei keiner Selbsttäuschung hingeben. Wer sich angewöhnt, die Nährwerttabellen zu studieren, wird sehr schnell sein Bewusstsein für versteckte Zucker schärfen. Und denken Sie daran: Trost und Belohnung im Alltag müssen nicht immer mit Süßem verbunden sein, es gibt so vieles, was stattdessen Freude bereitet. •