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mehr wissen: FSME: Selten, aber gefährlich

von Karen Steinmeyer

Einige Zeckenarten – allen voran der Gemeine Holzbock – sind unter anderem Überträger der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Diese Virusinfektion kann manchmal zu einer Entzündung des Gehirns, der Hirnhäute und des Rückenmarks führen. Der Erreger ist das FSME-Virus, ein Flavivirus, dessen drei Subtypen nach ihrem Vorkommen in europäisch, asiatisch und sibirisch unterschieden werden. Wird die Erkrankung durch den europäischen Subtyp verursacht, spricht man von FSME. Werden alle Subtypen zusammengefasst, bezeichnet man eine entsprechende Erkrankung mit dem englischen Ausdruck tick-borne encephalitis (TBE, englisch: durch Zecken hervorgerufene Enzephalitis).

Nicht von Mensch zu Mensch

Da sich die FSME-Viren im Speichel derZecken befinden, werden sie kurz nach dem Stich übertragen. Eine sofortige Entfernung der Zecke senkt das Risiko für eine Infektion. Zu einer Übertragung durch einen Zeckenstich kann es vor allen Dingen im Frühjahr und Sommer kommen, wenn die Zecken besonders aktiv sind, was auch zur Namensgebung der Krankheit geführt hat. Bei milden Temperaturen können Infektionen jedochinzwischen in Deutschland auch im Herbst und Winter auftreten. In seltenen Fällen ist auch eineInfektion durch den Verzehr infizierter und unbehandelter Milch von Schafen oder Ziegen möglich, in absoluten Einzelfällen auch von Kühen. Daher sollte der Verzehr dieser Milchprodukte von Tieren aus FSME-Risikogebieten (siehe blauer Kasten auf Seite 102) vermieden werden. Eine Ansteckung von Mensch zu Mensch erfolgt nicht – außer bei einer Organtransplantation. Auch eine Übertragung von einer infizierten Schwangeren auf den Fötus wurde noch nie beschrieben. Die Inkubationszeit beträgt im Durchschnitt etwa zehn Tage, kann aber zwischen sieben und 14 Tage, selten auch 28 Tage dauern.

FSME-Risikogebiete in Deutschland

In bestimmten Regionen Deutschlands werden mehr FSME-Erkrankungen gemeldet als in anderen. Daher werden vom Robert Koch-Institut (RKI) jährlich aktuelle Karten mit FSME-Risikogebieten in Deutschland veröffentlicht, wobei deren Zahl kontinuierlich wächst. Man sollte aber beachten, dass auch in FSME-Risikogebieten lediglich 0,1 bis 5 % der vorkommenden Zecken das FSME-Virus tragen.Klicken Sie auf ptaheute.de auf die Lupe und geben Sie dann den Webcode ein, um die aktuelle Karte des RKI herunterzuladen.

Webcode:

S6BD9

Erkrankung in zwei Phasen

Die Viren vermehren sich nach der Übertragung zunächst in verschiedenen Zellen des Immunsystems. Über die Lymphknoten gelangen sie danach in die Blutbahn und auf diesem Wege in verschiedene Gewebe und Organe, zum Beispiel in Milz und Leber. Das Virus kann auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden und so in Gehirn und Rückenmark eindringen. Eine FSME-Infektion verläuft bei etwa 70 bis 95 % der Infizierten asymptomatisch oder äußert sich in einer unspezifischen Primärphase mit leichten grippeähnlichen Beschwerden wir leichtem Fieber um 38 °C, Kopf- und Gliederschmerzen. Sie klingen nach ein paar Tagen wieder ab.

Bei bis zu 30 % der Infizierten kommt es jedoch nach ein- bis dreiwöchiger Besserung zur sogenannten Sekundärphase. Kennzeichnend sind hierfür erneutes, teilweise sehr hohes Fieber, deutliches Krankheitsgefühl, mitunter heftigeKopfschmerzen und Nackensteifigkeit. Bei der Hälfte der Erkrankten tritt eine isolierte Hirnhautentzündung (Meningitis) auf, bei 40 % eine zusätzliche Hirnentzündung (Meningoenzephalitis) und bei 10 % eine zusätzliche Rückenmarksentzündung (Meningoenzephalomyelitis). Es kann zu vielfältigen neurologischen Funktionsstörungen kommen wie Gleichgewichts- und Bewusstseinsstörungen sowie Lähmungen der Extremitäten, die oft auch mit Muskelatrophie einhergehen. Bei einer Lähmung der Hirnnerven können neben Gesichts- und Atemlähmung auch Hör-, Schluck- und Sprechstörungen auftreten. Jeder zwanzigste Patient muss wegen Atemlähmung oder schweren Bewusstseinsstörungen intensivmedizinisch behandelt werden. Etwa 1 % der Erkrankten mit neurologischen Symptomen stirbt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine von Zecken übertragene Virusinfektion, die zu schweren Erkrankungen des zentralen Nervensystems führen kann.
  • Eine Infektion kann häufig symptomfrei verlaufen, aber auch starke Beschwerden hervorrufen, die mitunter lang andauern oder auch teilweise irreversibel sind. Charakteristisch ist ein zweiphasiger, durch Fieber und Kopfschmerzen gekennzeichneter Verlauf. In schweren Fällen treten zahlreiche neurologische Symptome auf.
  • Eine Erkrankung kann nur symptomatisch behandelt werden.
  • Vorbeugend stellt eine Impfung den besten Schutz dar. Sie besteht aus einer dreiteiligen Grundimmunisierung und regelmäßigen Auffrischimpfungen.

Erhöhtes Risiko

Das Risiko, an einer FSME-Infektion zu erkranken, ist für Männer doppelt so hoch wie für Frauen. Während man bei Kindern meistens nur einen milden Krankheitserlauf beobachtet, steigt ab einem Alter von 40 Jahren, bei immunsupprimierten Personen und wahrscheinlich auch bei bestimmter genetischer Disposition, die Gefahr für schwere Verläufe. Besonders bei älteren Menschen muss man mit Komplikationen rechnen.

Aufschlussreiche Antikörper

Der erste Schritt der Diagnose ist die Frage nach einem Zeckenstich, dem Verzehr von möglicherweise infizierter Rohmilch und ob sich der Patient in einem FSME-Risikogebiet aufgehalten hat. Bisher gibt es noch keinen Schnelltest auf FSME-Viren und ein PCR-Nachweis der Virus-RNA aus Blut oder Liquor ist nur in der ersten symptomatischen Phase möglich. Auch schließt ein negatives Ergebnis eine FSME-Infektion nicht zwingend aus. Als Diagnosemethode der Wahl erfolgt daher der gestaffelte Nachweis von FSME-spezifischen IgM- und IgG-Antikörpern. In zwei Serum- oder Liquorproben im Abstand von zwei Wochen lassen die Antikörper Rückschlüsse darüber zu, ob es sich um einen früheren Viruskontakt beziehungsweise eine vorangegangene Impfung oder eine akute Infektion handelt.

Unerlässliche Differenzialdiagnose

Es gibt viele andere Erkrankungen, die ähnliche neurologische Symptome wie eine FSME zeigen und daher ausgeschlossen werden müssen. Sie können sowohl bakteriell, zum Beispiel durch Meningokokken, als auch viral, zum Beispiel durch Masern- oder Epstein-Barr-Viren, hervorgerufen werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Herpes-simplex-Enzephalitis (HSE). Für den Ausschluss einer HSE kann eine Kernspintomografie herangezogen werden. Solange eine HSE nicht ausgeschlossen werden kann, sollte laut der S1-Leitlinie „Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie vom Januar 2020 bis zur sicheren Diagnosestellung prophylaktisch eine antivirale Therapie gegen HSE mit Aciclovir erfolgen. Aufgrund deutlicher Kreuzreaktivität mit anderen Flaviviren, zum Beispiel dem Gelbfieber-, Dengue-, Japanische-Enzephalitis- oder West-Nil-Virus, müssen die entsprechenden Erkrankungen differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden. Das RKI verweist daher an das Konsiliarlabor für FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München, um das FSME-Virus eindeutig nachzuweisen. Seit 2001 besteht laut Infektionsschutzgesetz für den Nachweis eines FSME-Virus im Zusammenhang mit einer akuten Infektion eine Meldepflicht an das Gesundheitsamt.

Symptomatische Therapie

Bei Verdacht auf eine FSME soll laut Leitlinie immer eine Krankenhauseinweisung erfolgen, weil es schnell zu einer drastischen Verschlechterung mit Atemdepression kommen kann. Da es für die FSME keine spezifischen antiviralen Arzneimittel und somit keine Kausaltherapie gibt, kann nur symptomatisch behandelt werden. Bei Kopfschmerzen kann Paracetamol oder Metamizol gegeben werden. Bei stärkeren Schmerzen ist der Einsatz von Diclofenac oder Ibuprofen beziehungsweise im Extremfall auch von Opiaten möglich. Eine gezielte Gabe von Antipyretika oder immunmodulierenden Medikamenten wie zum Beispiel Glucocorticoiden sollte wegen der Gefahr einer Beeinträchtigung der Immunabwehr nicht erfolgen. Unter Umständen können sowohl prophylaktisch wie auch therapeutisch Antikonvulsiva notwendig sein. Daneben können auch parenterale Ernährung oder Flüssigkeitsersatz erforderlich sein. Kommt es durch die Infektion zu neurologischen Schäden, werden die Betroffenen von Physiotherapeuten, Logopäden und/oder Ergotherapeuten therapiert.

Mögliche Folge- und Spätschäden

Der weitere Verlauf nach einer FSME-Erkrankung kann sehr unterschiedlich sein. Eine isolierte Meningitis heilt meistens folgenlos aus. Nach einer Meningoenzephalitis können die Patienten allerdings noch wochenlang unter Kopfschmerzen, Lähmungen, chronischer Müdigkeit und emotionaler Erschöpfung sowie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und den Folgen von Hirnnervenlähmungen leiden. In 20 % der Fälle heilen die Symptome nicht aus und begleiten die Betroffenen für den Rest ihres Lebens. Die schlechteste Prognose haben Patienten mit einer Meningoenzephalomyelitis. In einer Studie behielten 50 % dieser Patienten dauerhafte Folgeschäden, nur jeder fünfte Patient erholte sich vollständig und 30 % verstarben an der Erkrankung. Obwohl Kinder und Jugendliche nach einer FSME wesentlich bessere Heilungschancen haben, können sie ebenfalls dauerhafte Defizite davontragen.

Wie erkläre ich es meinen Kunden?

  • „Auch wenn Ihre Zeckenschutzimpfung vor ein paar Jahren nicht vollständig durchgeführt wurde, können Sie sich jetzt noch eine Auffrischimpfung geben lassen. Eine neue dreiteilige Grundimmunisierung ist nicht notwendig.“
  • „Es stimmt, dass es verschiedene FSME-Virustypen gibt. Wegen Ihrer Reise brauchen Sie sich aber keine Sorgen zu machen. Ihre Impfung deckt alle drei Virustypen ab.“
  • „Auch wenn sich bei Ihrem Mann der Verdacht auf eine FSME-Infektion bestätigen sollte, brauchen Sie wegen einer Ansteckung keine Angst zu haben: Eine Übertragung von Mensch zu Mensch findet nicht statt.“

Impfschutz

Den wirksamsten Schutz vor einer Erkrankung stellt die FSME-Impfung dar. Sie wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) allen potenziell gefährdeten Menschen nach Vollendung des ersten Lebensjahres empfohlen. Dazu zählen alle Personen, die sich in ihrer Freizeit oder berufsbedingt in FSME-Risikogebieten aufhalten (siehe blauer Kasten auf Seite 102). Bei den in Deutschland zugelassenen Impfstoffen handelt es sich um inaktivierte Adsorbat-Impfstoffe. Sie sind gegen die drei Virussubtypen wirksam und in der Regel gut verträglich. Die Grundimmunisierung erfolgt durch drei Impfstoffdosen im Zeitraum von neun bis zwölf Monaten, danach sollten in bestimmten Abständen Auffrischimpfungen erfolgen (siehe Tabelle auf Seite 102). Für Erwachsene stehen die Impfstoffe FSME-Immun und Encepur zur Verfügung, für Kinder FSME-Immun Junior und Encepur Kinder. FSME-Immun und Encepur sind laut RKI als gleichwertig anzusehen, im Bedarfsfall ist ein Impfstoffaustausch nach Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt möglich. Eine einmal begonnene, aber unvollständige Grundimmunisierung kann laut STIKO trotz anders lautender Fachinformation jederzeit vervollständigt werden – nach dem Grundsatz „Jede Impfung zählt“. Auch nach einer durchgemachten Infektion empfiehlt das RKI alle drei bis fünf Jahre eine Auffrischimpfung. Eine passive, das heißt postexpositionelle Impfung gegen FSME ist seit 2003 in Deutschland nicht mehr möglich – wohl auch, weil ein eindeutiger Nutzen nicht nachweisbar war. •

Schemata für FSME-Impfungen
Encepur
ab 12 Jahren
Encepur Kinder
ab 1 bis 11 Jahre
FSME-Immun Erwachsene
ab 16 Jahren
FSME-Immun 0,25 ml Junior
ab 1 bis 15 Jahre
Grundimmunisierung (normales Impfschema)
1. Impfung
beliebiger Zeitpunkt
beliebiger Zeitpunkt
2. Impfung
14 Tage bis 3 Monate nach 1. Impfung
1 – 3 Monate nach 1. Impfung
3. Impfung
9 – 12 Monate nach 2. Impfung
5 – 12 Monate nach 2. Impfung
1. Auffrischimpfung
3 Jahre nach 3. Impfung
3 Jahre nach 3. Impfung
Schnellimmunisierung
1. Impfung
beliebiger Zeitpunkt
beliebiger Zeitpunkt
2. Impfung
7 Tage nach 1. Impfung
14 Tage nach 1. Impfung
3. Impfung
21 Tage nach 1. Impfung
5 – 12 Monate nach 2. Impfung
1. Auffrischimpfung
12 – 18 Monate nach 3. Impfung
3 Jahre nach 3. Impfung
Auffrischimpfungen
… im Alter von …
< 50 Jahren: alle 5 Jahre
≥ 50 Jahren: alle 3 Jahre
< 60 Jahren: alle 5 Jahre
≥ 60 Jahren: alle 3 Jahre
Karen Steinmeyer

Apothekerin

Rheine

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