Therapie von COVID-19: Neue Zielstruktur entdeckt
SARS-CoV-2 gehört zu den behüllten RNA-Viren. Bei der Vermehrung des Virus in einer Körperzelle wird die Erbsubstanz mit Hilfe des Enzyms RNA-Polymerase vervielfältigt.
Zur Erinnerung: Wie funktioniert die Virus-Replikation?
Viren sind intrazelluläre Parasiten, deren metabolische Prozesse und auch ihre Vermehrung von einer Wirtszelle abhängig sind. Viren vermehren sich dabei nicht durch Zweiteilung, sondern die einzelnen dafür nötigen Bestandteile werden mit Hilfe der befallenen Zellen gebildet. Nach der Infektion müssen die Viren daher zunächst in die Körperzelle gelangen. Dort durchlaufen sie dann ihren Replikationsprozess, lagern die einzelnen Bausteine wieder zusammen und verlassen die Zelle. Zur Vermehrung (Replikation) wird zunächst die Nukleinsäure, beim Coronavirus also Ribonukleinsäure (RNS bzw. engl. RNA), freigesetzt. Diese wird dann mit Hilfe des Enzyms RNA-Polymerase vervielfältigt.
Polymerasen sind Enzyme, die die Polymerisation von Nukleotiden, also den Grundbausteinen der Nukleinsäuren, katalysieren. Eine RNA-Polymerase stellt dabei die Nukleinsäure RNA her. Sie verknüpft dafür in einer bestimmten Reihenfolge Nukleotide zu einer Nukleinsäurekette. Die RNA-Polymerase des Coronavirus besitzt als Besonderheit eine zusätzliche Protein-Domäne, also einen charakteristischen Abschnitt bestimmter Aminosäuren, die als NiRAN bezeichnet wird. Diese NiRAN-Domäne ist bisher ausschließlich bei Viren der Ordnung Nidovirales, zu denen auch die Coronaviren gehören, bekannt.
NiRAN-Domäne unverzichtbar für die Vermehrung
In der veröffentlichten Studie in der Fachzeitschrift PNAS, die von der National Academy of Sciences der Vereinigten Staaten von Amerika herausgegeben wird, konnten die Forscher um den Gießener Virologen Prof. John Ziebuhr nun zeigen, dass diese NiRAN-Domäne essenziell für die Replikation des Virus ist. Sie ermöglicht eine chemische Veränderung des Enzyms, die sogenannte Protein-NMPylierung. Bei diesem Vorgang wird ein Nukleosidmonophosphat (NMP) als Baustein der RNA auf ein virales Protein (nsp9) übertragen.
Enzym als Angriffsfläche für Arzneimittel
Diese enzymatische Reaktion der RNA-Polymerase erfolgt spezifisch, die beteiligten Aminosäurereste sind bei allen bekannten Coronaviren gleich. Die Wissenschaftler schlussfolgern daraus, dass antivirale Medikamente genau auf diese NiRAN-Domäne abzielen können. Eine Vermehrung von SARS-CoV-2 könnte damit effektiv verhindert und COVID-19 ursächlich behandelt werden.
Und Remdesivir?
Als erstes Arzneimittel gegen COVID-19 wurde Remdesivir unter Auflagen in Europa zugelassen. Das Virustatikum hemmt ebenfalls die RNA-Polymerase und soll damit die Vermehrung von SARS-CoV-2 in menschlichen Zellen unterdrücken. Im klinischen Einsatz konnte Remdesivir aber noch nicht überzeugen. Die Erkrankungszeit verkürzt sich nach Einnahme zwar, ein Rückgang der Sterblichkeit konnte bisher jedoch nicht nachgewiesen werden. Wissenschaftler vom Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie und der Universität Würzburg konnten nun zeigen, dass Remdesivir die RNA-Polymerase während der Virusvermehrung zwar stören kann, diese aber nicht vollständig hemmt. Remdesivir ähnelt in seinem Aufbau RNA-Bausteinen. Das Enzym lässt sich dadurch täuschen und baut die Substanz irrtümlich in die wachsende RNA-Kette ein. Allerdings wird die Bildung von RNA nicht komplett blockiert, nach einer Fehlerkorrektur kann die RNA-Polymerase oft normal weiterarbeiten.
Auch hier neue Therapiemöglichkeiten
In der kürzlich im Wissenschaftsjournal Nature Communications veröffentlichten Untersuchung schrieben die Forscher um Prof. Claudia Höbartner und Prof. Patrick Cramer dazu: „Jetzt da wir wissen, wie Remdesivir die Corona-Polymerase hemmt, können wir daran arbeiten, die Substanz und ihre Wirkung zu verbessern.“ Ziel sei es außerdem, nach neuen Wirkstoffen zu suchen, die die RNA-Polymerase effektiv stoppen können.