BFARM setzt EMA-Beschluss um : Tolperison erhält Hinweis zur Überdosierung
Tolperison (zum Beispiel Mydocalm® oder Tolperison Stada) darf in Deutschland nur in einer einzigen Indikation eingesetzt werden: bei Spastik nach einem Schlaganfall. In anderen europäischen Ländern kann das muskelentspannende Präparat jedoch breiter angewendet werden. In der Schweiz ist Tolperison zugelassen zur Behandlung von Muskelspasmen bei schmerzhaften Erkrankungen der Skelettmuskulatur, vor allem der Wirbelsäule und der stammnahen Gelenke, und Tolperison kann auch verwendet werden bei erhöhtem Tonus der Skelettmuskulatur bei neurologischen Erkrankungen wie beispielsweise Pyramidenbahnläsionen.
Zur Erinnerung: Was ist die Pyramidenbahn?
Die Pyramidenbahn ist wichtig für die Motorik, insbesondere für die Feinmotorik, des Körpers. Bei Pyramidenbahnläsionen, zum Beispiel infolge eines Schlaganfalles, kommt es unter anderem zu Störungen der Feinmotorik, zu Lähmungen und Spastik.
Nach Sicherheitsverfahren: EMA empfiehlt Hinweise zu Überdosierung
Daten eines Schweizer Giftzentrums zur Überdosierung von Tolperison hatten den PRAC der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hellhörig werden lassen. Der PRAC beschäftigt sich als EMA-Ausschuss für die Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (Arzneimittelsicherheit) mit der Sicherheit und den Risiken von Arzneimitteln. Er hatte, nachdem er die periodischen Sicherheitsberichte zu tolperisonhaltigen Arzneimitteln überprüft hatte, ein Verfahren zu Tolperison eingeleitet. Das Ergebnis: Tolperison solle zusätzliche Hinweise zu Überdosierungen erhalten. Diese Empfehlung mündete in einen einstimmigen Beschluss der EMA, der nun durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für Deutschland umgesetzt wird. Was ändert sich bei Mydocalm® und Co.?
Anpassung in Fach- und Gebrauchsinformation nötig
Sowohl Fachinformationen als auch Beipackzettel müssen nun auf Überdosierungen von Tolperison hinweisen. Im „Abschnitt 3: Wenn Sie eine größere Menge von X eingenommen haben, als Sie sollten“, erfahren Patienten künftig, welche Symptome auf eine Überdosierung mit Tolperison hinweisen können. Zu lesen ist dort:
Symptome einer Überdosierung können Schläfrigkeit, gastrointestinale Symptome (zum Beispiel Unwohlsein, Erbrechen, Schmerzen im oberen Teil des Magens), schneller Herzschlag, hoher Blutdruck, verlangsamte Bewegungen und ein Gefühl von Drehschwindel umfassen. In schweren Fällen wurde über Krampfanfälle, Verlangsamung der Atmung oder Atemstillstand und Koma berichtet. Im Fall einer Überdosierung sollten Sie sich sofort mit Ihrem Arzt oder Apotheker oder einer Notaufnahme in Verbindung setzen.“
Für Fachkreise wird zusätzlich die Fachinformation tolperisonhaltiger Arzneimittel ergänzt. Auch hier werden Symptome beschrieben und dass lediglich die Möglichkeit besteht, diese zu behandeln, da es kein Gegengift (Antidot) gibt. Die Neuerungen finden sich unter Punkt „4.9 Überdosierung“:
Symptome einer Überdosierung können Somnolenz, gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Erbrechen, epigastrischer Schmerz), Tachykardie, Bluthochdruck, Bradykinesie und Schwindel beinhalten. In schweren Fällen wurde über Krampfanfälle, Atemdepression, Apnoe und Koma berichtet. Es gibt kein spezielles Antidot für Tolperison, eine symptomatische Behandlung wird empfohlen.“
Fachinformation bisher: „Keine Fälle von Überdosierung berichtet“
Aktuell informiert die Fachinformation noch, dass „keine Fälle von Überdosierung berichtet“ sind, man habe in akuten Toxizitätsstudien bei Tieren Ataxie, tonisch-klonische Krämpfe, Dyspnoe und Atemlähmung bei Dosen höher als die maximal tolerierte Dosis beobachtet. Wahrscheinlich seien die Symptome einer Überdosierung beim Menschen ähnlich. Diese bisherigen Beobachtungen wurden nun revidiert.
Wie wirkt Tolperison?
Tolperison darf in Deutschland ausschließlich bei Spastizität nach Schlaganfall eingesetzt werden. Die Einzeldosis beginnt bei 50 mg bis 150 mg, die Gesamtdosis pro Tag liegt bei 150 mg bis 450 mg. Der Wirkstoff ist zentral wirksam und verringert sowohl Stärke als auch Frequenz von Aktionspotenzialen, wodurch unter anderem die muskelentspannende Wirkung erklärt wird.